Saturday, July 24, 2010

IV. Der Odyssee Vierter Teil - Coitus Interruptus

"Der Schritt verrät, ob einer schon auf seiner Bahn schreitet. Wer aber seinem Ziele nahe kommt, der tanzt." -Friedrich Nietzsche

Was soll denn dieser Titel jetzt schon wieder? Findet er das lustig, oder was? Primitivling!

"Kaum wirds einmal ernst und interessant, muss er gleich wieder alles ins Laecherliche ziehen", denkt ihr euch?

Falsch, ihr Banausen!

Dieser vierte Teil dient dramatisch gesehen als retardierendes Moment, auch Hinauszoegerung des Hoehepunkts genannt. Kurz bevor es zur Aufloesung kommt, also dem Happy End bei der Komoedie oder der, fuer Tragoedien typischen, grossen Ernuechterung, werden noch einmal alle Karten neu gemischt. Obs letztendlich ein Royal Flush wird oder doch nur ein Bad Beat*, sehen wir dann wohl erst beim naechsten Mal.

Deswegen gar nicht erst weiterlesen und lieber direkt auf den folgenden Eintrag warten? Sicher, warum nicht? Du kannst dir auch ein Loch ins Knie bohren und gucken, ob Joghurt rauskommt!**

Unsere Erzaehlung vom letzten Mal endete beim eigentlichen Anfang meiner Strapazen: Naemlich dem zentralen Busbahnhof von Sao Paulo, "Terminal Tiete".

Noch einmal kurz zu meiner Gefuehlslage: unruhig, nervoes, unsicher und etwas eingeschuechert durch das Ungewisse, was mir unmittelbar bevorstand. Oder anders gesagt: Genau so, wie man sich vor seiner allerersten Verabredung fuehlt. Nur, dass mich hier niemand erwartete und nichts von mir wollte. Ausser vielleicht meine Wertgegenstaende.

Nachdem ich ausgestiegen war und mir meinen Koffer hatte geben lassen, lief ich direkt von den externen Haltestellen in die Hoehle des Loewen, wo mich ein eher verschlafenes Getummel von langsam umherschlurfenden Reisenden empfing. Ich hatte keine Ahnung, wo ich naehere Informationen herholen wuerde und selbst bei Nachfrage an den Fahrer meines Reisebusses kam nur ein sehr genereller, genuschelter Fingerzeig als Antwort. Entsprechend liess ich mich einfach vom Strom der Leute tragen und dachte nicht weiter nach. So muessen sich wohl BILD-Leser fuehlen!

Es war 8:45, als ich das erste Mal hoch auf eine der allgegenwaertigen Uhren schaute, die wie unerreichbare Gottheiten ueber die Passanten zu herrschen schienen und mit ihren Zeigern als Zepter vorgaben, wie viel Zeit den Sterblichen gewaehrt wuerde.

Zeitdruck? Der war gluecklicherweise nicht gegeben. Denn immerhin hatte man mir viel Spielraum gelassen. Mein Flug wuerde um kurz nach 12 gehen. Mittags? Nein, post-mitternacht natuerlich! Alles andere waere ja Ponyhof.
Wie dem auch sei, ich war morgens noch recht froh, um diese Terminplanung, da ich mir sicher war, mehrere Stunden bis zum Erreichen des Flughafens zu benoetigen.

Nachdem ich mich mehrere Dutzend Minuten hatte treiben lassen, war ich schon bedeutend ruhiger. Ich war noch nicht ermordet und hatte sogar noch saemtliche weltlichen Besitze in meiner Obhut, mit denen ich auch angekommen war. Die Furcht vor der Furcht ist immer das Schlimmste. Denn wenn man einmal angefangen zu kaempfen, dann sorgt man sich um die Gegenwart und nicht die Zukunft. So, wie es fast jedes Tier vernuenftigerweise seit Jahrmillionen haelt. Nur der Mensch begann irgendwann mit dem verrueckten Vorhaben, das Leben zu verplanen und so die eigene Existenz zu vergeistigen anstatt sie zu geniessen.
Da im Erdgeschoss nur Essstaende und Abfahrts- und Haltestellen zu finden waren, machte ich mich mitsamt meines 30kg Koffers schliesslich auf ins 1. Stockwerk.

Nach kurzer Rolltreppenfahrt erblickte ich ein weites Schlachtfeld von Spielhoellen, noch mehr Imbissen, Wartehallen und, wie koennte es anders sein, Ticketschaltern in rauhen Mengen. Mein erster Gang war allerdings direkt zum banheiro, da ich die gesamte Fahrt keine einzige annehmbare Toilette hatte finden koennen. Kein leichter Schachzug, denn leider war es eines dieser Drehkreuzklos, fuer das ich nicht nur heftige zwei Reales blechen musste, sondern bei dem ich auch gezwungen war, mein schweres Reiseequipment ueber die Barriere zu hieven.
Nachdem ich das Mikroben-Resort wieder verlassen hatte, gings zum Ticketschalter. Man sprach zwar nur Portugiesisch, aber gluecklicherweise hatte ich mir den Namen des Flughafens, Garulhos, gemerkt, was die Dinge sehr erleichterte. Nach Nennung des Preises gab ich einfach mal einen grossen Schein und hoffte auf das Gute im Menschen, ganz besonders bei der Verkaeuferin vor mir.

Nach erfolgreichem Erwerb gings dann wieder bergab. Keine Angst, ich meine nur zurueck ins Erdgeschoss.

Dort fand ich auch recht schnell die entsprechende Anlegestelle und pflanzte mich auf einen der zahlreichen Sitze. Nach knapp 40-minuetiger Wartezeit und der gewonnenen Erkenntnis, dass fast alle Leute um mich herum schwarz waren und ich somit das weisse Schaf, kam der Shuttlebus zum Flughafen an.

Kurz bevor es losging, schlug mir aber ploetzlich ein voellig neuer Gedanke ins Hirn ein, der mir vorher noch gar nicht gekommen war.

WIE KOMME ICH EIGENTLICH WIEDER ZURUECK?

Gute Frage, denn Sao Paulo hat an die 30 groesseren Busbahnhoefe. Auf meinem Rueckreiseticket stand auch nichts Genaueres. Die einzige Information, die ich damals beim Kauf bekommen hatte, war: "Siehst du dieses Bild von dem roten Bus da? So aehnlich sieht dein Bus dann bei der Rueckkehr aus. Wenn sich nichts aendert."

Diese Art der Informationshandhabung ist unter anderem der Grund, warum Paraguay bisher kein Raumfahrtsprogramm hat und wohl so schnell auch keins auf die Beine stellen wird.

Um noch etwas Schadensbegrenzung zu betreiben, fragte ich den Buslenker noch schnell, wie denn dieses Terminal hier hiesse. Zurueck kam eine gemurmelte Antwort, die ich zunaechst als Raeuspern interpretierte. Als bei erneutem Erkundigen dieselbe Aussage kam, begriff ich, dass mein Portugiesisch doch noch sehr unnuetz war. "Tiete" wird naemlich etwa wie tschiáetschie ausgesprochen. Da er auch noch in einem ganzen Satz antwortete, war das beinahe zuviel des Guten. Er zeigte mir dann aber eine Karte und dann wars klar.

Nach weiteren 30 Minuten Fahrt kamen wir dann am Garulhos an und ich fuehlte mich seit langer Zeit zum ersten Mal wieder richtig in der Zivilisation. Business People in Anzuegen, die ihren Flug erwischen muessen, verchromte Baeder, englische Schilder und Wortfetzen und einfach diese positiv hektische Atmosphaere, die ich so an Flughaefen schaetze. Denn dort hat man immer das Gefuehl, dass man bald auf Reise geht, neue Erfahrungen machen kann oder endlich wieder nach Hause kommt.
Deshalb hatte ich auch keine Probleme mit den 15 Stunden vorlaeufigen Aufenthalts.

Als Erstes ging ich zu McDonald's und holte mir dort den Wochenburger, dessen Name mir leider entfallen ist. Der Geschmack war allerdings unvergesslich gut konstruiert und kam mit einer Portion Creme Fraiche, was ich in Europa oder den USA noch nie bei einem Burger erleben durfte. Ich sage konstruiert, weil er offensichtlich so natuerlich war wie Cher. Ausserdem half mir dieser Kauf dabei, den Wert dieser mir noch fremden Waehrung etwas besser einschaetzen zu koennen. Wenn ich also fuer einen Fastfoodsnack 4 Reales bezahle, dann ist diese 0,5l Wasserflasche fuer 6 Reales ganz klar Wucher und jene halbe Pizza fuer 2 Reales ein Schnaeppchen. Das ist ein netter kleiner Trick, ueber den ich auf diese Weise zufaellig gestossen war. Viva la Kaufkraftparitaet! Auch wurde mir so bewusst, dass ich bei 5 Reales alle 10 Minuten nur kurz ins Internet-Café gehen wuerde. Da hob ich mir mein Geld lieber fuer Burger auf.

Der Tag verging recht unspektakulaer. Ich ass, las und wunderte mich darueber, wie sehr ich mich an mein Spanisch gewoehnt hatte. Irgendwie wollte ich nicht wieder Englisch reden, was mir die Serviceleute der Airlines aber staendig aufdraengten.

Gegen 23:00 checkte ich dann ein und verliess 70 Minuten spaeter recht puenktlich den Flughafen und machte mich auf in das Land der unbegrenzten Moeglichkeiten. Der 7,5-stuendige Flug verging recht schnell, da ich eigentlich nur schlief, aber gluecklicherweise stets rechtzeitig zu den Mahlzeiten und Snacks aufwachte.

Miami, die Stadt meiner Traeume. Ich spielte kurz mit dem Gedanken wie es sein wuerde, den Flughafen meines Zwischenstops einfach zu verlassen, mir ein Zimmer zu nehmen und dann den Rest des Tages am Strand und die Nacht im Coconut Grove, dem hippen Partyviertel der Jugend, zu verbringen und dann meine Freundin zu bitten, mich einfach in Florida zu besuchen. Auch wenn sie vielleicht zustimmen wuerde, waere meine Gastfamilie wahrscheinlich eher traurig.

Aber konnte ich mir diese Gelegenheit entgehen lassen? Man lebt schliesslich nur einmal...

(Fortsetzung folgt)

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*Bad Beat, auch bekannt als "Anna Kournikova": Hand beim Poker, die stark aussieht, aber trotzdem verliert.
** Zitat Georg Himmer, Philosoph (1950-heute)

2 comments:

  1. Wie ich deine Witze vermisst habe... toller Text =)

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  2. das mit dem Spanisch kann ich voll nachvollziehen...

    Lebe ja auch seit 3 Monaten in Spanien und rede mittlerwiele gerne "Spenglisch"

    Gruß
    Dominic

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