Wednesday, August 18, 2010

AFS Abschlussbericht 2/2

Nach kurzer Bedenkzeit, lasse ich euch nun nicht weiter im eigenen Saft schmoren und serviere euch jetzt frisch den zweiten und letzten Teil meines AFS-Abschlussberichts. Guten Appetit!

_______________________

[...]

Ferner muss Einiges zur Betreuung berichtet werden. In erster Linie war ja AFS Paraguay für mein Wohlergehen verantwortlich. Man muss sagen, dass ich, zumindest in Bezug auf meine Familiensuche, schwer von AFS im Stich gelassen wurde und deshalb fast ein halbes Jahr kein nettes heimisches Umfeld hatte, obwohl ich oft versuchte, mit meinen neuen Familien ins Gespräch zu kommen. Auch waren die Camps im Ausland sehr mangelhaft, da man erst kurz vorher über die Details und vor allem die Daten informiert wurde. So war Urlaubsplanung oft schwer und wurde auch nicht berücksichtigt. Der Tiefpunkt war, dass wir „weltwärts´ler“ ein separates Abschiedscamp haben sollten, was bedeutete, dass wir unsere anderen AFS-Freunde zum Schluss nicht mehr zusammen hätten sehen können. Doch zum Glück ließ sich dies noch ändern, wenn auch nur unter Protest seitens AFS.
Verpflichtend waren im Weiteren zwei Wochen Vorbereitungsseminar in Deutschland, an denen ich viele andere deutsche Freiwillige kennen lernen konnte, die auch ein Jahr im südamerikanischen Ausland verbringen sollten.
In Paraguay angekommen, hatten wir dort ebenfalls noch ein eintägiges Arrival-Camp, das uns mit dem notwendigsten Basiswissen über das Land und die dortigen Sitten versorgte, was uns zuvor in Deutschland eigentlich kaum erklärt wurde. Neben einem zweitägigen Midstay- und einem dreitägigen End-of-Stay Camp, erwarten uns nun noch zwei jeweils dreitägige Returnee-Camps in Deutschland. Letztere emfinde ich allerdings als etwas störend, da ich eine komplette Woche Nachbereitung bevorzugt hätte, anstatt zweimal für drei Tage während der Vorlesungszeit meiner Universität anreisen zu müssen. AFS Deutschland hat die VBs zufriedenstellend organisiert, war während meines Auslandsjahres jedoch sehr langsam bei Anfragen und hat Verantwortung oft an AFS Paraguay abgewälzt, die umgekehrt ähnlich reagierten.
Auch Konflikte gab es sicherlich, allerdings kaum in Bezug auf meine Arbeit, da sie dort alles sehr professionell und verständnisvoll zu handlen pflegten. Mit meinen Gastfamilien gab es auch nie wirkliche, offene Probleme, abgesehen davon, dass ich nach Meinung meiner ersten Gastmutter zu viel äße und deshalb teilweise selbst für mein Essen aufkommen sollte. Dies tat ich dann auch, was die Meinungsverschiedenheit beseitigte. Andere, latente Konflikte, die nur bei meinen ersten beiden Heimen auftraten, waren hingegen weitaus schwerer zu lösen. Die Chemie stimmte einfach nicht und es gab kein gegenseitiges Verständnis. Ich merkte mit der Zeit aber auch, das einfach kein Interesse ihrerseits bestand, unser Verhältnis zu verbessern. Daher zog ich mich entweder in mein Zimmer zurück, ging mit Freunden aus oder stürzte mich in die Arbeit.

Auch der sprachliche Aspekt spielte eine große Rolle in Paraguay. Wie bereits erwähnt, beherrschte ich das Spanisch zu Beginn kaum. Ich hatte zwar ein Gruppenstunden genommen und ein paar Wörterbücher akquiriert, aber ansonsten war ich recht unvorbereitet. Das rächte sich dann auch in den ersten Wochen, da ich kaum etwas verstand. Doch das Eintauchen in die neue Kultur und Sprache sorgte schon schnell für erste Erfolgserlebnisse und es ging schließlich rapide bergauf. Nach ein paar Monaten war Spanisch auch kein Problem mehr. Da weder meine Familie noch meine Arbeitsstelle über Leute mit Englischkenntnissen verfügte, war ich von Anfang an gezwungen, an meinem Spanisch zu arbeiten. Insgesamt hat sich mein Spanisch stark verbessert und war gegen Ende des Jahres auch fließend, sodass ich auch gehobene Literatur lesen konnte, wenn auch etwas langsamer als in Englisch oder Deutsch. Geholfen hat mir auch der obligatorische 4-wöchige Sprachkurs am Anfang, der immer werktags ca. 2 Stunden lang andauerte und andere AFSer und mich mit den wichtigsten grammatischen Grundregeln vertraut machte.
Die Reaktionen auf mangelnde Sprachkompetenz waren sehr unterschiedlich. Meine Gastfamilien waren meist sehr verständnisvoll, auch wenn man merkte, dass sie bei Nichtverstehen oft aus Höflichkeit so taten, als hätten sie mich verstanden. Meine Kollegen waren ebenfalls meist sehr mitfühlend. Leider wurde ich nur von sehr wenigen Leuten verbessert, da es im Allgemeinen als Beleidigung ausgelegt werden könnte, als Besserwisser da zu stehen. Mein letzter und richtiger Gastvater allerdings korrigierte mich recht oft, da er weiß, wie es der Spracheentwicklung schadet, bestehende Fehler nicht zu beseitigen. Viele der Kinder, die wir betreuten waren hingegen weniger vollendet in ihren Manieren und hielten sich nicht damit zurück, meinen Akzent nachzuäffen, was mich oft etwas verärgerte, ich aber zu tolerieren lernte, da sie es meist nicht böse meinten und mich auch oft als ihren Lieblingsbetreuer bezeichneten.

Letztlich ist es auch von entscheidender Bedeutung den Aspekt der Entwicklungspolitik während meines Jahres näher ins Auge zu fassen.
Als durchschnittlicher Deutscher ist man zwar nicht ungebildet und weiß durchaus über viele der globalen Probleme Bescheid, hat seine Informationen aber doch meist nur aus Medien oder Erfahrungsberichten anderer. Konkret hatte ich nun das Privileg, selbst einmal einen Blick hinter die Pressekulissen zu werfen und auch aktiv an Entwicklungsarbeit teilzunehmen. Dabei konnte ich lernen, dass einige Punkte unerlässlich für eine erfolgreiche Umsetzung der angestrebten Ziele sind.

Dazu gehört zunächst eine durchdachte Planung, da man sonst im Nachhinein zu viele Lücken notgedrungen stopfen muss und so das gesamte Projekt in Qualität und Effektivität leiden würde. Des Weiteren muss auch das Equipment am Stichtag parat liegen, was regelmäßige Inventuren und gewissenhaftes Sortieren erfordert. Außerdem ist ein eingespieltes Team unverzichtbar, das gut miteinander harmoniert, um die praktische Durchführung möglichst reibungslos über die Bühne zu bringen. Auch die Koordination des Leiters ist von großer Bedeutung, damit jeder weiß, was er zu tun hat.
All dies klingt logisch und offensichtlich, war mir aber noch nicht in diesem Maße aus der Praxis bekannt. Insgesamt benötigt Entwicklungsarbeit, wie jede andere Art von Dienstleistungen, ein gutes Management, um funktionieren zu können. In dieser Hinsicht habe ich also auch viel für meine späteren Jobs lernen können, allerdings ohne das Risiko gefeuert zu werden oder unter Konkurrenzdruck stehen zu müssen.
Auch wenn die Arbeitswelt in Paraguay sicherlich anders aussieht als in Europa oder den USA, so sind viele Gemeinsamkeiten erkennbar, die zunächst vielleicht gar nicht so schnell ins Auge fallen. Beispielsweise gibt es in jedem Land, auch den vermeintlich reichen, immer noch reichlich Verbesserungsbedarf. Die soziale Schere öffnet sich auf Landes- und Weltebene immer weiter. Arme werden immer ärmer und Reiche immer wohlhabender. Dies sind Probleme, die sich nicht innerhalb eines Jahres, einer Legislaturperiode und wahrscheinlich auch nicht einer Generation lösen lassen. Was man aber tun kann, ist sich für eine Verbesserung des Status Quo einzusetzen und seinen Teil zu einer gerechteren Koexistenz der verschiedenen sozialen Schichten beizutragen.
Auch wenn ich jetzt nicht den wohlbekannten und oft auch naiven Weltverbesserungstenor anschlagen möchte, so sehe ich es trotzdem, gerade auch in Hinsicht auf meinen abschließenden Bericht, als Pflicht an, hier die Wichtigkeit einer pro-entwicklungspolitischen Einstellung deutlich zu machen.

Schlichte Aktionen wie Recycling, Car-Pooling oder angemessener Strom- und Wasserverbrauch können bereits Einiges zum Naturschutz beitragen und sind Maßnahmen, die das eigene Leben kaum einschränken. Der Fakt, dass dies und Ähnliches überall auf der Welt möglich ist und es auch fast in jeder Ecke unseres Planeten Menschen gibt, die die Zeichen der Zeit nicht ignorieren, sondern einen aktiven Beitrag zum Erhalt und Förderung unserer Natur und Lebensqualität leisten, lassen darauf schließen, dass wir es hier keineswegs mit einem nationalen Phänomen zu tun haben. Tatsächlich ist Entwicklungspolitik längst globalisiert und viele Organisationen wie etwa Amnesty International sind schon seit langem ein einziges großes Netzwerk, die dadurch nicht nur beweglicher und ressourcenreicher sind, sondern auch schnell und effizient Lobbyismus betreiben können, um akute Konflikte erfolgreicher anzugehen.
Da man so auch vom Wissen der vielen anderen Experten eines unbekannten Arbeitsfeldes profitieren kann, hat sich gemeinsames globales Lernen stets bewährt.

Das galt auch für mich, da ich Einblick in Arbeitsweisen und Techniken hatte, die ich zuvor noch kaum verstand. Arbeitsteilung war eine der wichtigsten Lektionen, da jeder Mensch andere Talente hat, die es zu erkennen und nutzen gilt. Ein Unternehmen oder Chef, der eben dies beherrscht, kann somit ein ungleich besseres Ergebnis erzielen, als wenn er einfach unüberlegt Befehle erteilen würde.

Auch war mir Vieles anfangs unverständlich, etwa dass nur rund drei Personen auf meiner Arbeitsstelle über einen Führerschein verfügten, der ja heutzutage in Deutschland fast unerlässlich ist. Bald stellte sich aber heraus, dass in Paraguay der Transport mit Bus oder Moped in keinster Weise dem Automobil unterlegen ist. Außerdem gab es durch die bereits angesprochene Arbeitsteilung oft auch keinen Anlass zu einer Großmobilisierung des Personals. Dies war für mich ein Paradebeispiel, dass das Gewohnte nicht immer die einzig richtige oder gar beste Lösung darstellt.

Natürlich werde ich das Gelernte nicht wieder vergessen oder gar ungenutzt verkommen zu lassen. Es gibt meiner Ansicht nach mehrere Möglichkeiten die gesammelten Erfahrungen an den Mann zu bringen. Zunächst gibt es natürlich das allgemeine Gespräch, will sagen, die Möglichkeit zu erzählen, was ich so erlebt habe und wie wichtig Engagement im Allgemeinen überhaupt ist. Weiterhin könnte ich diverse Organisationen wie AFS oder Tierranuestra, meinen vormaligen Arbeitgeber, durch Freiwilligenarbeit, Spenden oder Spendenaufrufen unterstützen. Ferner sehe ich meinen Blog [www.janinparaguay.blogspot.com (Deutsch) oder www.pruegmeister.blogspot.com (Englisch)] als geeignetes Medium, das bereits viele Leute erreichen konnte, um über meine Arbeit und positiven Erfahrungen zu berichten. Außerdem hoffe ich, später einmal verschiedene erfolgreiche Arbeitsweisen, die ich in Asunción kennen lernen durfte, in meinem Beruf umsetzen zu können. Auch die Motivierung der Kollegen sollte nicht zu kurz kommen. Denn das gute Arbeitsklima, das bei uns herrschte, war zwar freundlich und entspannt, aber gleichzeitig auch anregend. Das war meist das Resultat zufriedener Angestellte, die pflichtbewusst und mit Respekt von ihrem Vorgesetzten behandelt wurden. Etwas, das beispielsweise in Deutschland leider noch Mangelware ist.

Dieses Jahr ist sicherlich nicht spurlos an mir vorbeigegangen und hat mir viele interessante Erlebnisse und auch neue Freunde aus aller Welt beschert. All dies geschah durch die Unterstützung von AFS, das in der Abwicklung und Praxis zwar viele Mängel und Fehler an den Tag legte, was aber auch teilweise individuell zu begründen war, sprich an bestimmten Einzelpersonen lag, was mich dazu veranlasst, noch einmal zu betonen, dass der Grundgedanke von AFS, nämlich der interkulturelle Austausch etwas Wunderbares ist, das ich jedem nur ans Herz legen kann. Schließlich ist ja auch niemand perfekt und deshalb nehme ich die Mankos nicht weiter übel, sondern möchte im Gegenteil dabei helfen, das Programm weiter zu verbessern.

Da ich doch sehr kapitalistisch eingestellt bin, habe ich keinesfalls vor, selbst hauptberuflich in der Entwicklungsarbeit tätig zu werden. Dieses Jahr war ein tolles Erlebnis, aber hat nicht für eine völlige Umwälzung meiner Pläne und Prinzipien gesorgt. Dennoch möchte ich etwas zurückgeben. Zwar ist Geld bei mir, wie wohl fast jedem Studenten, eher Mangelware, jedoch würde es mich reizen, bei Vorbereitungsseminaren als Betreuer mit dabei zu sein, wenn es mein Studium zulässt.

Abschließend bin ich sehr dankbar für all das, was ich von meinem Jahr in Paraguay mitnehmen kann und hoffe, auch weiterhin davon profitieren und mein Wissen der Allgemeinheit zur Verfügung stellen zu können.
Es war ein Schritt ins Ungewisse damals und ich wollte, offen gesagt, auch mehrmals aufgeben. Selbst den „Brief für einen schwarzen Tag“, der uns als Kraftquelle mitgegeben wurde, hatte ich zuhause vergessen. Doch mit Unterstützung der Menschen, die mir nahestehen und meinem nicht zu unterschätzenden Sturkopf habe ich dann doch durchhalten und sogar Spaß haben können. Deshalb freue ich mich, dass die BRD jungen Menschen wie mir etwas Derartiges ermöglicht und es Vereine wie AFS gibt, die einen tatkräftig unterstützen und dabei helfen, das Beste aus sich herauszuholen.

Danke für alles, AFS und "weltwärts"!

Wednesday, August 11, 2010

AFS Abschlussbericht 1/2

Nachdem ich nun wieder daheim in Deutschland angekommen bin, kann ich auch immer ruckzuck meine Post lesen, ohne sie extra einscannen und verschicken lassen zu müssen. An sich etwas Positives. Leider war letztens aber auch ein Brief von AFS, meiner Entsendeorganisation, dabei, in dem ich aufgefordert wurde, einen 5-seitigen Abschlussbericht als Feedback über meinen Auslandsaufenthalt zu verfassen.
Dies soll einerseits dazu beitragen das Programm auf eventuelle Schwachstellen zu überprüfen und andererseits als Informationsquelle für zukünftige "Hopees" dienen, die sich ein Bild über das vorübergehende Leben in einer anderen Kultur machen möchten.
Aufgrund der Länge halte ich es für sinnvoller, den Bericht, welchen ich euch natürlich nicht vorenthalten will, in zwei Teilen zu veröffentlichen. Der Stil ist diesmal eher etwas sachlicher gehalten als ihr es von mir kennt, aber das hat ein Bericht nun mal so an sich. Dennoch hoffe ich, dass ihr meine Zeilen lest, bewertet und natürlich auch auf meinem Blog kommentiert.
_______________________

Dieser Abschlussbericht wird sich mit verschiedenen Aspekten meines Auslandsjahres in Paraguay beschäftigen. Mein Name ist Jan, 21, und ich wohnte und arbeitete knapp ein Jahr in der Hauptstadt Asunción. Mein Arbeitgeber war die Nichtregierungsorganisation „Tierranuestra“, die sich primär für Umweltschutz und musikalische Jugendbildung einsetzt.

Um die komplexen Sachverhalte besser darstellen zu können, werde ich versuchen, die einzelnen Teilbereiche separat aufzulisten.

Zunächst möchte ich über den Eindruck, den Land und Leute bei mir hinterlassen haben, sprechen.
Anfangs schien mir Paraguay eigentlich nicht sehr fremd, da ich Vieles aus Deutschland wiedererkannte. Selbst das Essen bestand aus keinen seltsamen neuen Nahrungsmitteln, wie man es sonst von einem weit entfernten Land erwartet. Das einzig Unbekannte am Esstisch war gekochter Maniok, doch selbst der war der heimischen Kartoffel nicht allzu unähnlich. Auch wurden viele Limonaden und Wasser getrunken. Insgesamt kam mir alles wie eine ärmere Version Deutschlands vor; etwa so wie man sich Osteuropa vorstellt. Da ich anfangs in einer temporären Familie untergebracht war, kam ich in das nächstbeste Heim, das mir AFS anbieten konnte. Ich war in einem 3-Personenhaushalt untergebracht, die alle bei der Polizei beschäftigt waren. Die Unterkunft war insgesamt recht bescheiden, zumindest aus meiner mitteleuropäischen Sicht. Es war ungewohnt für mich, kein eigenes Zimmer mehr zu haben, sondern mehr oder weniger im Durchgang schlafen und sämtliche Besitztümer in meinem Koffer aufbewahren zu müssen. Es war also ein Verlust der Privatsphäre gegeben. Zudem sprach ich kaum Spanisch, was mich sehr zum Schweigen verurteilte. Normalerweise bin ich eher redselig und auch argumentativ. Plötzlich meiner verbalen Werkzeuge entrissen worden zu sein, machte mich daher nicht nur hilfloser, sondern verärgerte und frustrierte mich auch des Öfteren. Insgesamt war auch das Verhalten meiner Gastfamilie eher zurückhaltend und ich fühlte mich zunehmend als Bürde. Nach kurzer Zeit wurde ich auch dazu gezwungen, Geld für Nahrungsmittel beizusteuern. Mein Eindruck von den Paraguayern wäre also recht negativ gewesen, wenn mich die Leute auf meiner Arbeit nicht vom Gegenteil überzeugt hätten. Nicht nur waren sie im Gegensatz zu meiner Gastfamilie neugierig und höflich, sondern kümmerten sich auch stets um mich und fragten oft nach, ob es mir an nichts fehle.
Während ich in den ersten Wochen und Monaten noch lernen musste, die manchmal übertriebene Neugierde und auch teilweise deftigen Manieren der paraguayischen Bevölkerung zu akzeptieren, gewöhnte ich mich mit der Zeit aber doch daran und fand die herzlich plumpe Art der Leute meistens auch sehr sympathisch. Sogar so sehr, dass mir viele Deutsche mittlerweile recht unfreundlich und desinteressiert bis hin zu abweisend vorkommen.
Ungewohnt war für mich auch die ständige Hitze, die schlechte Infrastruktur und vor allem das Nationalgetränk, der Tereré, eine bestimmte Art Kräutertee, der meist kalt verzehrt wird.
Da ich vom Land komme und ein Auto für mich stets ein Muss gewesen ist, war ich zunächst etwas verwundert immer Busse für jeglichen Transport nehmen zu müssen. Doch an all diese Dinge gewöhnte ich mich schnell und Vieles davon fehlt mir nun auch. Ich bin hier in Deutschland jetzt deutlich weniger mobil, friere meist und will meine tägliche Ration Tereré nicht missen.

Da Paraguay mit einem Durchschnittsalter von etwa 21.9 im Vergleich zu Deutschland mit 44.3 Jahren demographisch gesehen ein sehr junges Land ist, habe ich immer viel mit Gleichaltrigen bzw. jungen Erwachsenen und Teenagern zu tun gehabt. In allen drei Gastfamilien, in denen ich während meinem Auslandsjahr untergebracht war, hatte ich mindestens zwei Gastgeschwister, die durchschnittlich erst 16,25 Jahre alt waren. Auch auf meiner Arbeit habe ich vor allem mit Kindern zusammengearbeitet. Meine Arbeitskollegen waren ebenfalls fast alle in ihren Zwanzigern. Dies war für mich ein extrem positiver Aspekt, da Gleichaltrige oder junge Menschen, meiner Meinung nach, generell offener und neugieriger sind als ältere Personen. Auch konnten sich Erstere eher in meine Situationen einfühlen.

Selbstverständlich gab es neben Gegensätzen wie liberale Zeiteinteilung, Bildungslücken und allgemein ungesunde Ernährung auch viele Gemeinsamkeiten, die mir gerade am Anfang halfen, mich in die neue Gesellschaft und Kultur zu integrieren. Beide Nationen sind große Fans des Fußballs, was stets half, ein gemeinsames Gesprächsthema zu finden. Da zwei der besten Spieler des Landes beide mal in Deutschland gespielt haben bzw. immer noch dort tätig sind, war mein Heimatland nie völlig unbekannt. Weiterhin ist wichtig zu erwähnen, dass Paraguay die deutsche Verfassung komplett übernommen hat und die politischen Systeme, zumindest theoretisch, nahezu identisch sind. Ein Kontrast ist hingegen der Grad der Korruption, der im Vergleich zu Südamerika in Deutschland noch überschaubar ist. Generell sind Menschen aber überall ähnlich, finde ich. Jeder möchte glücklich sein und in Frieden und finanzieller Sicherheit leben. Die Wünsche sind sehr vergleichbar, was dazu führte, dass man immer gut über Politik und die Mängel dieser diskutieren konnte.

Wichtig ist es sicherlich auch, meine Arbeit etwas näher zu beschreiben.
Die Aufgaben, welche mir aufgetragen wurden, waren sehr vielfältig. Das lag vor allem daran, dass wir mit meiner Arbeitsstelle viele unterschiedliche Projekte durchgeführt haben. Die offizielle Bezeichnung meiner Anstellung wäre wohl „Betreuer“, wobei oft auch andere Leistungen wie Übersetzungen, Aufräumen oder Katalogisieren dazukamen. Wenn wir an Schulen gingen, um in Form von Vorträgen und Spielen den Kindern Umweltschutz näherzubringen, war ich anfangs beim Aufbau, Vorbereitung und Transport von notwendigen Materialien beschäftigt. Als sich mein Spanisch dann verbesserte, konnte ich auch Spiele erklären und mich aktiver in die Präsentationen einbringen.
Die Arbeitsstunden haben das Jahr über sehr variiert. Im ersten Monat arbeitete ich nur vormittags, da nachmittags mein obligatorischer Spanischkurs stattfand. Von Ende August bis Mitte Dezember musste ich vergleichsweise viel arbeiten, teilweise auch am Wochenende, da Camps für Kinder und Jugendliche anberaumt waren, die bis zu drei Tagen am Stück dauerten. Zu dieser Zeit war eine 50-Stundenwoche mein übliches Pensum. Der späte Dezember und Januar hingegen waren sehr ruhig, da sich zu diesem Zeitpunkt die meisten meiner Kollegen Sommerurlaub genommen hatten, vor allem auch, weil ihre Kinder dann Ferien hatten. Auch der Rest des Jahres war in Bezug auf meine Arbeit nicht allzu strapaziös, da kaum noch Projekte durchgeführt wurden und mir vor allem Büroarbeit wie Sortieren der Bibliothek oder Aufräumen der Werkstätten aufgetragen wurde, die allerdings klar als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu erkennen waren. Dennoch war ich zufrieden, nützlich sein zu können, da meine Kollegen nach wie vor sehr nett und zuvorkommend waren und mich immer noch höflich über mein Leben in Deutschland und meine Zukunft ausfragten.

Nun ist sicherlich die große Frage, ob ich mit meinem Arbeitspensum klargekommen bin. War es zu wenig oder zu viel? Auch dies lässt sich nicht pauschal beantworten. Anfangs waren die Ansprüche sicherlich ungewohnt hoch, was aber durch die noch existente Sprachbarriere verschlimmert wurde. Mit der Zeit gewöhnte ich mich an die Anforderungen, die interessanterweise immer leichter zu handhaben waren. Gegen Mitte des Jahres fühlt ich mich tatsächlich etwas unterfordert, was ich aber versuchte durch aktive Integration in unsere Stiftung zu kompensieren. Leider ließ sich nicht wirklich immer etwas finden, was dazu führte, dass ich mich außerhalb meines Arbeitsplatzes engagierte. Dazu zählten unter anderem regelmäßiges Fitnesstraining, verstärkte Widmung meines Blogs, Mitarbeit bei Rotaract, dem Jugendzweig von Rotary International und schließlich die Belegung eines halbjährigen Intensiv-Portugiesischkurses.

Zu Beginn wohnte ich sehr nah an meinem Arbeitplatz und konnte so innerhalb von etwa 7 Minuten zu Fuß bei Tierranuestra ankommen. Meine zweite Gastfamilie wohnte etwas weiter weg, was einen 10-minütigen Fußmarsch an die nächste Hauptverkehrsstraße bedeutete, an den sich eine etwa 25-minütige Busfahrt und dann noch ein 5-minütiger steiler Weg auf Schusters Rappen anschloss. Dies schließt Wartezeiten auf Busse natürlich aus, die bis zu einer Viertelstunden betragen konnten. Auch meine dritte Familie wohnte nicht allzu nah, was eine etwa 25-Minuten-Anreise per Bus und Fuß zur Folge hatte.

Die Gastfamilien sind ein weiteres integrales Thema meiner Auslandserfahrung, da man schließlich mit ihnen zusammenlebt und mit der Zeit auch ein Teil des eigenen Lebens werden.
Mein erstes Zuhause war, wie bereits erwähnt, eigentlich nur eine Notlösung, da meine ursprüngliche Familie in letzter Minute absprang; zwei Stunden vor Abflug, um genau zu sein. Dort habe ich mich auch nie wohl gefühlt und wurde auch nicht sehr herzlich aufgenommen. Nach Ablauf der angesetzten sechs Wochen wurde ich dann aufgrund der Unfähigkeit AFS' eine neue und dauerhafte Familie zu finden, kurzerhand zur Schwester meiner ersten Gastmutter deportiert, die mir zwar ein eigenes Zimmer, aber immer noch keine Zuneigung gaben. So war ich etwa wochenlang gezwungen, bei über 30 Grad in meinem Zimmer ohne Ventilation zu schlafen, während der Rest der Familie nachts moderne Klimaanlagen nutzte.
Beide Familien hatten von Anfang an einen eher schlechten Eindruck gemacht und diesen auch über die gesamte Zeit nur weiter bestätigt. Als ich Mitte Dezember schließlich meine dritte und auch finale Familie zugeteilt bekam, ging es allerdings aufwärts. Mir kamen sowohl meine direkte Familie als auch die Verwandten sofort sympathisch vor. Obwohl ich annahm, dass dieses Gefühl der Geborgenheit wohl nur vorübergehend bestehen würde, nachdem die anfängliche Freundlichkeit abgeklungen wäre, durfte ich feststellen, dass meine Familie tatsächlich wunderbare und hilfsbereite Menschen waren. Dabei half sicherlich auch, dass meine Gasteltern beide bereits Auslandserfahrung hatten und mein ältester Gastbruder momentan auch ein Austauschjahr in Deutschland verbringt; ebenfalls mit AFS. Dieses interkulturelle Verständnis hat viel dazu beigetragen, dass ich mich verstanden und respektiert fühlen konnte. Auch half unser tägliches gemeinsames Abendessen und regelmäßige Besuche bei Verwandten am Wochenende dabei, eine enge Beziehung zu knüpfen. Der Abschied fiel mir wirklich sehr schwer. Auch heute bin ich noch häufig mit meiner Gastfamilie über das Internet in Kontakt. [...]

Bleibt dabei, wenn ich nächste Woche über meine wahre Meinung von AFS, Sprachproblemen und meiner Zukunft in der Entwicklungspolitik berichte.

euer Jan

Thursday, August 5, 2010

V. Der Odyssee Fünfter Teil - Auflösung

Wenn du denkst es geht nicht mehr,
kommt von irgendwo die Krönung her!

Wie jedes Meister- und Machwerk hat auch diese Erzählung einmal ein Ende. Heute erleben wir den letzten Teil des Versuchs meinerseits, etwas Neues zu schaffen.
Wir wenden uns dem Abschluss zu und leiten das Denouement, oder auch Entknotung, des Grundkonflikts ein. Normalerweise wird der Zuschauer dann durch den Tod des Helden zu einer emotionalen Reinigung, oder Katharsis, gebracht, die ihm hilft, das eigene Leben besser zu handlen.

Gleich vorab verrate ich schon mal, dass ich euch mit einem Ableben, und wäre es noch so förderlich für eure geistige Entwicklung, leider nicht dienen werde. Zumindest nicht zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Texts. Dennoch strebe ich eine Läuterung unserer aller Gemüter an, indem ich den angesprochenen Grundkonflikt, nämlich meine Sehnsucht, zu entmystifizieren gedenke. Gehen wir dem Übel auf den Grund, nehmen es auseinander und lernen somit gleich etwas fürs nächste Mal.

Lassen wir noch einmal kurz Revue passieren, da mein letzter Eintrag schon mehrere Tage zurückliegt und auch deshalb, weil das Thema immer wieder schöne Erinnerungen von früheren Reisen in mir wachruft: "das Grosse Wasser", was die Indianer schon vor langer Zeit Maiyami tauften.
Ich saß also im Flug von Sao Paulo nach Miami und dachte mir so, "Warum nicht einfach in Partytown bleiben und das Endziel sausen lassen?"
Ich war kurz wirklich versucht. Es wäre sicher auch nicht allzu kostspielig gewesen, zumindest für eine Nacht dort zu bleiben und dann eine kleine Umbuchungsgebühr für einen neuen Anschlussflug am nächsten Tag zu bekommen.

Immerhin wäre ich in weniger als 24h von paraguayischer Pampa zu South Beach Promenade avanciert. Das ist in etwa so, als ob der Rasenmäher über Nacht plötzlich zu einem Lamborghini mutiert wäre; zumindest in meiner Weltanschauung!

Dennoch nahm ich von diesem vorwitzigen Vorhaben schnell wieder Abstand, da mein Lebensweg mich nicht nach Florida, sondern zu meiner Freundin trieb. Nach Lektüre von Coelhos "Alchimisten" werdet ihr sicher verstehen, wenn ich von "Zeichen" rede, die sich auf dem eigenen Lebensweg immer wieder offenbaren und deren Existenz und Hinweise wir entweder ignorieren oder folgen können. Es liegt ganz bei uns! Manche mögen mich für einen Träumer oder Weltfremden halten. Bitte! Das kann ich echt gerade noch verkraften. All die Dinge, die bei der Planung und Ausführung der Reise hätten schiefgehen können, waren wie die Sprossen unserer Karriereleiter: Wir sind einfach draufgetreten!

Nach der Ankunft in Miami International, blieb ich also ganz brav am Flughafen und checkte pflichtbewusst, wenn auch genervt ob der Unnötigkeit, meinen Koffer erneut ein.
Lässigerweise weigerte ich mich nachwievor Englisch zu sprechen, was in Südflorida aber aufgrund der Prävalenz kubanischer und mexikanischer Reisender keine Rarität ist und deshalb auch immer zweisprachiges Servicepersonal eingesetzt wird. Dummerweise war deren Spanisch manchmal etwas ungewohnt für mich, was in mindestens einem Fall ein peinliches Nachfragen erforderte und mitleidige Blicke auf sich zog.

Auch hier hatte ich eine stattliche Wartezeit von etwa 3,5 Stunden, die ich inzwischen routiniert mit Räsonieren und People-Watching tot schlug.

An einem Kiosk sah ich dann noch den witzigsten Buchumschlag überhaupt. Es war das humoristisch-kritische Werk "I am America (And so can you)" von Stephen Colbert, einem US-Komiker, dessen Rückseite ihn freudig bei der Lektüre seines eigenen Schriftstücks zeigt. Dies soll andere, ernste Bücher und Autoren auf die Schippe nehmen, die sich stets scheinbar intellektuell und retouchiert ablichten lassen und berühmte Autoren oder Politiker für ein oberflächliches Lob bezahlen. Sein aufgedruckter Kommentar:

"Ich lachte, ich weinte, ich habe 15 Pfund verloren. Ich kann dieses Buch nicht genug empfehlen."

Es kommt vielleicht nicht so lustig rüber wie ich es damals empfand, aber nach etlichen Stunden Reise ohne Schlaf traf dieser dumme Spruch genau meinen Nerv.
Der letzte Flugabschnitt machte mich dann auch schon etwas nervös. Als ich schliesslich ankam, wartete meine Gastmutter schon auf mich und ich konnte mein Englisch nicht länger zurückhalten.

Vom Rest meines Urlaubs möchte ich nicht weiter erzählen. Zunächst einmal, weil er keinerlei entwicklungspolitische Relevanz hat, aber vor allem auch, weil es niemanden etwas angeht.
Einzig gilt es zu erwähnen, dass ich eine wunderschöne Zeit verlebt habe und es mir erneut einen Stich ins Herz versetzte, als ich meine Freundin letztendlich wieder zum Flughafen bringen musste. Außerdem waren wir überraschend doch noch kurz in Florida, da meine Gastmutter noch einer Freundin bei etwas helfen wollte. Für uns ist dann also trotzdem noch ein Strandurlaub rausgesprungen. Es kommt eben immer doch alles so, wie es sein sollte. Das Leben weiß schon, was es tut!

Die Rückreise war der Hinfahrt sehr ähnlich, nur, dass ich nicht über Miami fliegen musste und entsprechend nur lockere 10 Stunden in Sao Paulo auf meinen Bus zu warten hatte.
Das einzig Nennenswerte geschah etwa 15 Minuten nach Abfahrt des colectivos nach Asunción.

Unser Bus fuhr dummerweise einem kleinen Pickup-Truck auf. Der Fahrer des Gefährts hielt sofort an und stieg mit wütendem Gesicht aus. Ich konnte das sehen, weil ich ganz vorne im oberen Teil des Zweietagenbusses saß. Nach kurzer Stille hörte man ein paar laute, aber unverständliche Worte. Dann ging der gerammte Fahrer wieder in Richtung seines Autos. Ich dachte, dass man sich wohl verständigt und entschuldigt hatte. Das dachte ich. Bis der Geschädigte plötzlich mit einer großen Brechstange aus dem Kfz stieg und das Metall schwingend in unsere Richtung rannte. Ich realisierte die Gefahr erst richtig als die Schläge gegen die Windschutzscheibe Vibrationen im ganzen Bus auslösten, die bis in meine Wirbel durchdrangen. Kurz darauf fingen ein paar Frauen an zu schreien und mit geschlossenen Augen und unter Tränen ihre Ave Marias zu beten. Ich machte mir einzig deshalb Sorgen, da ich vielleicht noch länger warten müsste, heimzukommen.

Nach etwa einer Minute machte sich das "Opfer" wieder auf seinen Weg; anscheinend der Meinung, der Gerechtigkeit Genüge getan zu haben. Da sich für die nächsten Augenblicke nichts rührte, befürchtete ich schon, er habe dem Busfahrer den Schädel eingeschlagen. Doch kurz darauf ging es weiter, als sei nichts geschehen.



So endet sie also, die Odyssee meines Herzens. Es war eine lange und lehrreiche Reise. Ich habe sie sehr genossen, auch, wenn sie mich viel Kraft gekostet hat.

Habt Dank für eure Treue und Aufmerksamkeit.


Da wir schon einmal beim Ende sind...
Wie ihr vielleicht gemerkt habt, hat sich mein Jahr dem Ende zugeneigt. Das bedeutet auch, dass mein Blog seinen Dienst zum größten Teil getan hat. Die Odyssee war das letzte Großprojekt. Was nun noch fehlt, sind erste Eindrücke nach der Rückkehr und noch ein oder zwei Zeitungsartikel, die ich vielleicht noch veröffentlichen werde.

Bleibt also noch etwas dabei und genießt die letzten meiner Ergüsse auf "JanInParaguay".

ergebenst, euer Jan

About Me