Wednesday, August 11, 2010

AFS Abschlussbericht 1/2

Nachdem ich nun wieder daheim in Deutschland angekommen bin, kann ich auch immer ruckzuck meine Post lesen, ohne sie extra einscannen und verschicken lassen zu müssen. An sich etwas Positives. Leider war letztens aber auch ein Brief von AFS, meiner Entsendeorganisation, dabei, in dem ich aufgefordert wurde, einen 5-seitigen Abschlussbericht als Feedback über meinen Auslandsaufenthalt zu verfassen.
Dies soll einerseits dazu beitragen das Programm auf eventuelle Schwachstellen zu überprüfen und andererseits als Informationsquelle für zukünftige "Hopees" dienen, die sich ein Bild über das vorübergehende Leben in einer anderen Kultur machen möchten.
Aufgrund der Länge halte ich es für sinnvoller, den Bericht, welchen ich euch natürlich nicht vorenthalten will, in zwei Teilen zu veröffentlichen. Der Stil ist diesmal eher etwas sachlicher gehalten als ihr es von mir kennt, aber das hat ein Bericht nun mal so an sich. Dennoch hoffe ich, dass ihr meine Zeilen lest, bewertet und natürlich auch auf meinem Blog kommentiert.
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Dieser Abschlussbericht wird sich mit verschiedenen Aspekten meines Auslandsjahres in Paraguay beschäftigen. Mein Name ist Jan, 21, und ich wohnte und arbeitete knapp ein Jahr in der Hauptstadt Asunción. Mein Arbeitgeber war die Nichtregierungsorganisation „Tierranuestra“, die sich primär für Umweltschutz und musikalische Jugendbildung einsetzt.

Um die komplexen Sachverhalte besser darstellen zu können, werde ich versuchen, die einzelnen Teilbereiche separat aufzulisten.

Zunächst möchte ich über den Eindruck, den Land und Leute bei mir hinterlassen haben, sprechen.
Anfangs schien mir Paraguay eigentlich nicht sehr fremd, da ich Vieles aus Deutschland wiedererkannte. Selbst das Essen bestand aus keinen seltsamen neuen Nahrungsmitteln, wie man es sonst von einem weit entfernten Land erwartet. Das einzig Unbekannte am Esstisch war gekochter Maniok, doch selbst der war der heimischen Kartoffel nicht allzu unähnlich. Auch wurden viele Limonaden und Wasser getrunken. Insgesamt kam mir alles wie eine ärmere Version Deutschlands vor; etwa so wie man sich Osteuropa vorstellt. Da ich anfangs in einer temporären Familie untergebracht war, kam ich in das nächstbeste Heim, das mir AFS anbieten konnte. Ich war in einem 3-Personenhaushalt untergebracht, die alle bei der Polizei beschäftigt waren. Die Unterkunft war insgesamt recht bescheiden, zumindest aus meiner mitteleuropäischen Sicht. Es war ungewohnt für mich, kein eigenes Zimmer mehr zu haben, sondern mehr oder weniger im Durchgang schlafen und sämtliche Besitztümer in meinem Koffer aufbewahren zu müssen. Es war also ein Verlust der Privatsphäre gegeben. Zudem sprach ich kaum Spanisch, was mich sehr zum Schweigen verurteilte. Normalerweise bin ich eher redselig und auch argumentativ. Plötzlich meiner verbalen Werkzeuge entrissen worden zu sein, machte mich daher nicht nur hilfloser, sondern verärgerte und frustrierte mich auch des Öfteren. Insgesamt war auch das Verhalten meiner Gastfamilie eher zurückhaltend und ich fühlte mich zunehmend als Bürde. Nach kurzer Zeit wurde ich auch dazu gezwungen, Geld für Nahrungsmittel beizusteuern. Mein Eindruck von den Paraguayern wäre also recht negativ gewesen, wenn mich die Leute auf meiner Arbeit nicht vom Gegenteil überzeugt hätten. Nicht nur waren sie im Gegensatz zu meiner Gastfamilie neugierig und höflich, sondern kümmerten sich auch stets um mich und fragten oft nach, ob es mir an nichts fehle.
Während ich in den ersten Wochen und Monaten noch lernen musste, die manchmal übertriebene Neugierde und auch teilweise deftigen Manieren der paraguayischen Bevölkerung zu akzeptieren, gewöhnte ich mich mit der Zeit aber doch daran und fand die herzlich plumpe Art der Leute meistens auch sehr sympathisch. Sogar so sehr, dass mir viele Deutsche mittlerweile recht unfreundlich und desinteressiert bis hin zu abweisend vorkommen.
Ungewohnt war für mich auch die ständige Hitze, die schlechte Infrastruktur und vor allem das Nationalgetränk, der Tereré, eine bestimmte Art Kräutertee, der meist kalt verzehrt wird.
Da ich vom Land komme und ein Auto für mich stets ein Muss gewesen ist, war ich zunächst etwas verwundert immer Busse für jeglichen Transport nehmen zu müssen. Doch an all diese Dinge gewöhnte ich mich schnell und Vieles davon fehlt mir nun auch. Ich bin hier in Deutschland jetzt deutlich weniger mobil, friere meist und will meine tägliche Ration Tereré nicht missen.

Da Paraguay mit einem Durchschnittsalter von etwa 21.9 im Vergleich zu Deutschland mit 44.3 Jahren demographisch gesehen ein sehr junges Land ist, habe ich immer viel mit Gleichaltrigen bzw. jungen Erwachsenen und Teenagern zu tun gehabt. In allen drei Gastfamilien, in denen ich während meinem Auslandsjahr untergebracht war, hatte ich mindestens zwei Gastgeschwister, die durchschnittlich erst 16,25 Jahre alt waren. Auch auf meiner Arbeit habe ich vor allem mit Kindern zusammengearbeitet. Meine Arbeitskollegen waren ebenfalls fast alle in ihren Zwanzigern. Dies war für mich ein extrem positiver Aspekt, da Gleichaltrige oder junge Menschen, meiner Meinung nach, generell offener und neugieriger sind als ältere Personen. Auch konnten sich Erstere eher in meine Situationen einfühlen.

Selbstverständlich gab es neben Gegensätzen wie liberale Zeiteinteilung, Bildungslücken und allgemein ungesunde Ernährung auch viele Gemeinsamkeiten, die mir gerade am Anfang halfen, mich in die neue Gesellschaft und Kultur zu integrieren. Beide Nationen sind große Fans des Fußballs, was stets half, ein gemeinsames Gesprächsthema zu finden. Da zwei der besten Spieler des Landes beide mal in Deutschland gespielt haben bzw. immer noch dort tätig sind, war mein Heimatland nie völlig unbekannt. Weiterhin ist wichtig zu erwähnen, dass Paraguay die deutsche Verfassung komplett übernommen hat und die politischen Systeme, zumindest theoretisch, nahezu identisch sind. Ein Kontrast ist hingegen der Grad der Korruption, der im Vergleich zu Südamerika in Deutschland noch überschaubar ist. Generell sind Menschen aber überall ähnlich, finde ich. Jeder möchte glücklich sein und in Frieden und finanzieller Sicherheit leben. Die Wünsche sind sehr vergleichbar, was dazu führte, dass man immer gut über Politik und die Mängel dieser diskutieren konnte.

Wichtig ist es sicherlich auch, meine Arbeit etwas näher zu beschreiben.
Die Aufgaben, welche mir aufgetragen wurden, waren sehr vielfältig. Das lag vor allem daran, dass wir mit meiner Arbeitsstelle viele unterschiedliche Projekte durchgeführt haben. Die offizielle Bezeichnung meiner Anstellung wäre wohl „Betreuer“, wobei oft auch andere Leistungen wie Übersetzungen, Aufräumen oder Katalogisieren dazukamen. Wenn wir an Schulen gingen, um in Form von Vorträgen und Spielen den Kindern Umweltschutz näherzubringen, war ich anfangs beim Aufbau, Vorbereitung und Transport von notwendigen Materialien beschäftigt. Als sich mein Spanisch dann verbesserte, konnte ich auch Spiele erklären und mich aktiver in die Präsentationen einbringen.
Die Arbeitsstunden haben das Jahr über sehr variiert. Im ersten Monat arbeitete ich nur vormittags, da nachmittags mein obligatorischer Spanischkurs stattfand. Von Ende August bis Mitte Dezember musste ich vergleichsweise viel arbeiten, teilweise auch am Wochenende, da Camps für Kinder und Jugendliche anberaumt waren, die bis zu drei Tagen am Stück dauerten. Zu dieser Zeit war eine 50-Stundenwoche mein übliches Pensum. Der späte Dezember und Januar hingegen waren sehr ruhig, da sich zu diesem Zeitpunkt die meisten meiner Kollegen Sommerurlaub genommen hatten, vor allem auch, weil ihre Kinder dann Ferien hatten. Auch der Rest des Jahres war in Bezug auf meine Arbeit nicht allzu strapaziös, da kaum noch Projekte durchgeführt wurden und mir vor allem Büroarbeit wie Sortieren der Bibliothek oder Aufräumen der Werkstätten aufgetragen wurde, die allerdings klar als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu erkennen waren. Dennoch war ich zufrieden, nützlich sein zu können, da meine Kollegen nach wie vor sehr nett und zuvorkommend waren und mich immer noch höflich über mein Leben in Deutschland und meine Zukunft ausfragten.

Nun ist sicherlich die große Frage, ob ich mit meinem Arbeitspensum klargekommen bin. War es zu wenig oder zu viel? Auch dies lässt sich nicht pauschal beantworten. Anfangs waren die Ansprüche sicherlich ungewohnt hoch, was aber durch die noch existente Sprachbarriere verschlimmert wurde. Mit der Zeit gewöhnte ich mich an die Anforderungen, die interessanterweise immer leichter zu handhaben waren. Gegen Mitte des Jahres fühlt ich mich tatsächlich etwas unterfordert, was ich aber versuchte durch aktive Integration in unsere Stiftung zu kompensieren. Leider ließ sich nicht wirklich immer etwas finden, was dazu führte, dass ich mich außerhalb meines Arbeitsplatzes engagierte. Dazu zählten unter anderem regelmäßiges Fitnesstraining, verstärkte Widmung meines Blogs, Mitarbeit bei Rotaract, dem Jugendzweig von Rotary International und schließlich die Belegung eines halbjährigen Intensiv-Portugiesischkurses.

Zu Beginn wohnte ich sehr nah an meinem Arbeitplatz und konnte so innerhalb von etwa 7 Minuten zu Fuß bei Tierranuestra ankommen. Meine zweite Gastfamilie wohnte etwas weiter weg, was einen 10-minütigen Fußmarsch an die nächste Hauptverkehrsstraße bedeutete, an den sich eine etwa 25-minütige Busfahrt und dann noch ein 5-minütiger steiler Weg auf Schusters Rappen anschloss. Dies schließt Wartezeiten auf Busse natürlich aus, die bis zu einer Viertelstunden betragen konnten. Auch meine dritte Familie wohnte nicht allzu nah, was eine etwa 25-Minuten-Anreise per Bus und Fuß zur Folge hatte.

Die Gastfamilien sind ein weiteres integrales Thema meiner Auslandserfahrung, da man schließlich mit ihnen zusammenlebt und mit der Zeit auch ein Teil des eigenen Lebens werden.
Mein erstes Zuhause war, wie bereits erwähnt, eigentlich nur eine Notlösung, da meine ursprüngliche Familie in letzter Minute absprang; zwei Stunden vor Abflug, um genau zu sein. Dort habe ich mich auch nie wohl gefühlt und wurde auch nicht sehr herzlich aufgenommen. Nach Ablauf der angesetzten sechs Wochen wurde ich dann aufgrund der Unfähigkeit AFS' eine neue und dauerhafte Familie zu finden, kurzerhand zur Schwester meiner ersten Gastmutter deportiert, die mir zwar ein eigenes Zimmer, aber immer noch keine Zuneigung gaben. So war ich etwa wochenlang gezwungen, bei über 30 Grad in meinem Zimmer ohne Ventilation zu schlafen, während der Rest der Familie nachts moderne Klimaanlagen nutzte.
Beide Familien hatten von Anfang an einen eher schlechten Eindruck gemacht und diesen auch über die gesamte Zeit nur weiter bestätigt. Als ich Mitte Dezember schließlich meine dritte und auch finale Familie zugeteilt bekam, ging es allerdings aufwärts. Mir kamen sowohl meine direkte Familie als auch die Verwandten sofort sympathisch vor. Obwohl ich annahm, dass dieses Gefühl der Geborgenheit wohl nur vorübergehend bestehen würde, nachdem die anfängliche Freundlichkeit abgeklungen wäre, durfte ich feststellen, dass meine Familie tatsächlich wunderbare und hilfsbereite Menschen waren. Dabei half sicherlich auch, dass meine Gasteltern beide bereits Auslandserfahrung hatten und mein ältester Gastbruder momentan auch ein Austauschjahr in Deutschland verbringt; ebenfalls mit AFS. Dieses interkulturelle Verständnis hat viel dazu beigetragen, dass ich mich verstanden und respektiert fühlen konnte. Auch half unser tägliches gemeinsames Abendessen und regelmäßige Besuche bei Verwandten am Wochenende dabei, eine enge Beziehung zu knüpfen. Der Abschied fiel mir wirklich sehr schwer. Auch heute bin ich noch häufig mit meiner Gastfamilie über das Internet in Kontakt. [...]

Bleibt dabei, wenn ich nächste Woche über meine wahre Meinung von AFS, Sprachproblemen und meiner Zukunft in der Entwicklungspolitik berichte.

euer Jan

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