Sunday, June 27, 2010

Nepper, Schlepper, Bauernfänger

Liebes Publikum,

da nun die obligatorische Entschuldigung ob der grossen Verzoegerung bereits zu meinem Markenzeichen geworden zu sein scheint, fuege ich zu dieser hiermit noch eine kleine Erlaeuterung hinzu: Ich hatte einfach keine Musse zu schreiben. Viele Schreiberlinge wuerden behaupten, ihnen habe die Inspiration oder die Zeit gefehlt. Bei mir nicht. Ich hatte von beidem reichlich. Ich war einfach nicht in der Stimmung zu schreiben und bin einfach mal gegen meinen eigenen Erwartungsstrom geschwommen.

Da ich nun nicht mehr allzu lange unter den Paraguayern zu verweilen gedenke, halte ich es nun fuer angebracht, mal wieder etwas von mir hoeren zu lassen. Und so nimmt die Geschichte ihren Lauf...

In den letzten Wochen habe ich angefangen, die Kriminalitaet und persoenliche Sicherheit in einem etwas anderem Licht zu sehen, besonders meine eigene Sicherheit. Es ist schon recht interessant, wenn man sich gegen Ende des Aufenthalts noch einmal rueckblickend vor Augen haelt wie ungeschickt und ignorant man doch zu Beginn des Auslandsjahres in Bezug auf manche Lebensbereiche noch gewesen ist.
Wie oft bin ich schon lange nach Einbruch der Dunkelheit alleine in fremden Gefilden umhergeirrt, manchmal sogar unter Einfluss bestimmter kurzkettiger Kohlenhydrate. Scheinbar hatte ich, zumindest bisher, aber immer einen Schutzengel, der mich vor allem Boesen bewahrt hat (sollte ich mal ohne Geld in den Taschen nach Hause gekommen sein, so war dies durchaus niemand anderem zuzuschieben).

Nach und nach habe ich aber immer wieder von kleineren oder groesseren Verbrechen in meiner unmittelbaren Umwelt gehoert. Sei es, dass die Putzfrau bei einem Freund zu gruendlich aufgeraeumt hatte oder dass eine Bekannte den Bus zwar mit Handy bestieg, aber ohne wieder verliess.
Dies alles habe ich zwar unbewusst gespeichert, hat bei mir aber sonst keine groessere Beunruigung hinterlassen. Meist sage ich mir einfach, dass die betroffenen Leute halt einfach zu unvorsichtig oder einfach hoffnungslos naiv sind. Da ein solches Unglueck aber jedem geschehen kann, versuche ich mir immer wieder klarzumachen, dass mich auch die groesste Vorsicht und das wachsamste Holzauge nicht voellig vor einem asalto, also einem Ueberfall, schuetzen koennen. In Anbetracht dessen kann ich mich wirklich sehr gluecklich schaetzen, bisher verschont geblieben zu sein.

Da ich ja aus einem sehr kleinen Doerfchen in Deutschland komme und auch in meinem USA-Auslandsjahr in einer ueberaus sicheren Gegend gewohnt habe, ist diese Zeit hier tatsaechlich eine voellig neue Erfahrung gewesen. Selbst die Superreichen koennen sich hier nicht ausserhalb ihres Hauses vor dem Verbrechen verstecken. Ich will damit nicht behaupten, dass an jeder Strassenecke ein Delinquent lauert, sondern moechte vielmehr darauf aufmerksam machen, dass Selbstschutz hier eine andere, ungleich hoehere Bedeutung hat als beispielsweise in deutschen Kleinstaedten.
Diese Behauptung moechte ich aber nicht nur einfach mal in den Raum werfen, sondern auch an ein paar persoenlichen Erfahrungen genauer auslegen.

Zunaechst noch einmal kurz zu den allgemeinen taetlichen Uebergriffen: Es wurde bisher kein auslaendischer Freiwilliger oder Austauschschueler ernstlich verletzt oder gar getoetet. Ich lehne mich sogar soweit aus dem Fenster und sage, dass dies zumindest mit AFS hier in Paraguay noch niemals bisher vorgekommen ist. Je nach Definition muss man vielleicht meinen Mitfreiwilligen Nic als Ausnahme sehen, dem eines Abends an einer eigentlich belebten Strasse beim kurzen Austreten eins mit einer Pistole ueber den Schaedel gebraten wurde und dann auch seine Wertgegenstaende aushaendigen musste, wie er uns erzaehlte.

Was ich nun berichte, gebe ich als Drittperson wieder. Fuer die Exaktheit aller Aussagen kann ich daher nicht garantieren. Ich habe allerdings versucht, mich auf die, meiner Ansicht nach, relevanten Fakten zu reduzieren.

Vor etwa drei Wochen holte eine unserer Angestellten nachmittags meinen kleinen Bruder von der Schule ab. Etwa 200m von unserem Haus entfernt wurden sie von einem unvermummten jungen Mann mit einer Pistole bedroht und gezwungen Handy und Geld sofort herauszugeben. Waehrend sie tat wie ihr gehiessen, blieb mein 10-jaehriges Bruederchen, vor Schock voellig eingefroren, neben ihr stehen. Was dieses Schreckenserlebnis in seiner jungen Psyche angerichtet hat, wage ich mir kaum auszumalen. Es ist wirklich eine Schande, dass solche Dinge ueberhaupt ungestraft hier moeglich sind, wo sich die Taeter noch nicht einmal um ein motorisiertes Fluchtmittel oder eine Skimaske bemuehen muessen. Die Polizei ist meist machtlos dagegen, da ineffizient, unterbesetzt und haeufig auch korrupt. Dieses Erlebnis hat mir klargemacht, dass ich meine Kinder niemals einer derartigen Umgebung aussetzen moechte, seien die meisten Leute hier auch noch so gutherzig.

Als ich etwa eine halbe Stunde spaeter nach Hause kam und mir die Geschichte bruehwarm erzaehlt wurde, konnte ich das Ganze kaum fassen. Eigentlich wollte ich an jenem Tag noch ins Fitnessstudio laufen, verkniff mir das dann aber doch. So sehr wollte ich das Schicksal dann doch nicht herausfordern, falls der oder wahrscheinlich sogar die Taeter noch in der Naehe sein sollten.

Der andere Gesetzesbruch ereignete sich erst gestern Vormittag und war so subtil, dass er von mir gar nicht erst wahrgenommen worden waere, haette es mir mein Gastvater nicht heute noch einmal erzaehlt. Es ereignete sich wie folgt: Meine Gastfamilie war ausser Haus und nur eine Angestellte war ausser mir noch daheim. Da meine Person die Nacht zuvor mit ein paar Freunden in der Stadt verbracht hatte, die naechste Woche zum Teil schon nach Hause fliegen, war ich noch im Tiefschlaf und bekam nichts weiter mit.
Gegen 11 Uhr klingelte es wohl an der Tuer und ein Mann stand draussen und gab an, er komme im Auftrag meiner Gastmutter, die ihn angeblich gebeten habe, eine Kette abzuholen. Tatsaechlich war meine Gastmutter fuer ein paar Tage auf einer Fortbildung. Um seine Legitimitaet zu beweisen, bat er die scheinbar zoegernde Haushilfe um die Handynummer der Señora, um sie nochmals anzurufen und die Uebergabe zu bestaetigen. Nach der Nennung der Durchwahl rief er an und meine Gastmutter erhielt auch tatsaechlich einen Anruf. Nur wurde dieser direkt nach der Verbindungsherstellung wieder beendet, sodass die Angerufene ein Verwaehlen vermutete. Kurioserweise hielt der vermeintliche Bote aber das Gespraech, das er nun eigenhaendig zum Monolog gemacht hatte, aufrecht, um die noch skeptische Zuhoererin zu taeuschen. Nachdem er mit gespieltem Lachen und eingeuebtem Text lautstark eine scheinbare Zustimmung seitens der Hausherrin fingierte, oeffnete unsere Haushaelterin schliesslich das Tor und danach sogar die Tuere, um einen voellig Fremden in das unbewachte Haus einzulassen. Man haette mir wahrscheinlich mein gesamtes Zimmer ausraeumen koennen und ich es nicht einmal bemerkt. Einen derartigen Party-induzierten Stupor werde ich in der naeheren Zukunft wohl besser vermeiden. Der Unbekannte nahm allerdings nur die Kette von der empleada an und verschwand dann wieder. Auf Nimmerwiedersehen. Als meine Gasteltern dann davon erfuhren, kamen sie direkt nach Hause gefahren. Denn bei meiner Gastmutter war keinerlei Kette angekommen. Sie hatte auch niemanden beauftragt, jene bringen zu lassen. Als Naechstes wurde dann Anzeige erstattet.

Ziemlich klarer Fall, oder?

So wuerde man zunaechst denken. Doch kriminelle Energien sind oft listiger als man denkt und man begegnet ihnen in vielerlei Gestalt. Auch in der einer kleinen, scheinbar wehrlosen Hausangestellten.

...Moment mal..wie bitte?

Das war meine spontane Reaktion, als mir mein Gastvater erzaehlte, er habe unsere Servicekraft noch am selben Tag gefeuert. Ich persoenlich haette das Aushaendigen des Schmucksstuecks einfach als Dummheit und Naivitaet einer typischen Angehoerigen der paraguayischen jungen Unterschicht gedeutet. Meine Gasteltern, weiser und wohl auch reicher in schmerzlichen Erfahrungen, kamen aber zu einem anderen Urteil.
Unser Haushalt hat naemlich ein Betriebshandy, das von den Angestellten immer genutzt wird, um meine Gasteltern oder bestimmte Dienstleister schnell und kostenlos zu erreichen. Meine padres anfitriónes weisen auch immer wieder nachdruecklich darauf hin, alle Unklarheiten zunaechst mit ihnen zu besprechen, bevor irgendwelchen Leuten Tor und Tuer geoeffnet wird. Daher scheint es etwas merkwuerdig, dass die Haushaelterin in diesem Fall nicht, wie sonst immer, das Handy benutzt hat, um sich selbst von der Authentizitaet des Anliegens bei ihrer Arbeitgeberin zu vergewissern, anstatt einfach deren Privatnummer an einen Fremden weiterzugeben. Auch ist es seltsamerweise aeusserst gut getimed gewesen, da die sonst fast staendig anwesende zweite Hausangestellte zufaellig gerade im nahe gelegenen Supermarkt einkaufen war. Entsprechend ist verstaendlich, dass die Beweislage recht erdrueckend ist und nicht viel Raum fuer Spekulationen laesst.


Natuerlich koennte man den Fall auch aus einem anderen Winkel betrachten: Der Taeter hatte unser Haus und die Routinen jeder einzelnen Person vorher genau studiert und dann in einem moeglichst opportunen Moment zugeschlagen, da er die juengere der Angestellten fuer das einfachste Opfer hielt. Die unbedachte Entscheidung, den Fremden hereinzulassen, koennte sie jetzt harscherweise den Job gekostet haben.
Diese Interpretation macht mir allerdings etwas Angst, da somit auch ich und meine taeglichen Ablaeufe von einem oder mehreren Verbrechern haetten observiert werden koennen oder vielleicht immer noch ausspioniert werden. Wollen wir aber hoffen, dass meine hier ausgebildete Sicherheitsparanoia etwas ueber das Ziel hinausschiesst. Ich gehe aber auch eher nicht davon aus, da der Taeter ja wusste, dass meine Gastmutter nicht in der Stadt war und eine derartige Information nicht ohne substantielle Beschattung erhalten worden sein kann, deren Kosten ein Kettchen sicher nicht rechtfertigen wuerde. Viel wahrscheinlicher ist die Anwesenheit eines Maulwurfs innerhalb der Familie, sprich, die nun Entlassene, die mit dem Dieb zusammenarbeitete, um etwas von der Beute abzubekommen.

Ausserdem war ich ja auch in Gefahr, falls sich dieser Fremde am Hausrat zu schaffen gemacht haette und ich irgendwie unangenehm dazwischen gekommen waere. Was waere dann passiert? Haette er mich versucht zu betaeuben und dann gefesselt? Oder angeschossen? Oder waere er erschrocken gefluechtet? Schwer zu sagen, aber zum Glueck war mir zu dem Zeitpunkt nicht bewusst, in welcher Gefahr ich da eigentlich schwebte.

Da mich meine Menschenkenntnis eigentlich selten taeuscht und mir unsere Angestellte auch nie verbrecherisch oder gar verschlagen vorkam, gehe ich davon aus, dass sie wohl durch bestimmte Lebensumstaende wie Schulden oder dergleichen dazu getrieben worden sein muss.

Doch all dies sind Spekulationen, die wahrscheinlich auch genau das bleiben werden. Interessant ist jedoch, dass in einem benachbarten Haushalt ein aehnliches Verbrechen begangen wurde, sogar mit der selben Handynummer des Fake-Anrufers, mit dem Unterschied, dass die empleada dort nicht mitgespielt hatte.

Wie dem auch sei, selbst die andere Angestellte war dagegen, die der Mittaeterschaft Beschuldigte weiter zu beschaeftigen, da Erstere sonst nicht bereit sei, weiterhin in unserem Haushalt zu bleiben. Das fand ich aber dann doch etwas charakterlos und egoistisch von ihr, da sich die beiden nun schon einige Monate kennen und zusammen wohnen, arbeiten und sich alles erzaehlen. Wegen einer einzigen, vielleicht sogar verschuldbaren Tat, gleich ein derartiges metaphorisches Messer in den Ruecken einer der vertrautesten Menschen zu rammen, fand ich dann, in Anbetracht eines abhanden gekommenen Stueck Metalls, dann doch etwas ungerechtfertigt und wird auch kuenftig nicht von mir vergessen werden.

Die Entscheidung meiner Gasteltern, gerade auch im Hinblick auf die Sicherheit ihrer kleinen Soehne, kann ich allerdings bestens nachvollziehen. Mein Gastvater hat es gut auf den Punkt gebracht, als er mir sein persoenliches Urteil verkuendete: "lesión irreparable de confianza " - irreparabler Vertrauensbruch

...und davon kann einen kein Richter und keine Jury der Welt wieder freisprechen.

About Me