Saturday, July 24, 2010

IV. Der Odyssee Vierter Teil - Coitus Interruptus

"Der Schritt verrät, ob einer schon auf seiner Bahn schreitet. Wer aber seinem Ziele nahe kommt, der tanzt." -Friedrich Nietzsche

Was soll denn dieser Titel jetzt schon wieder? Findet er das lustig, oder was? Primitivling!

"Kaum wirds einmal ernst und interessant, muss er gleich wieder alles ins Laecherliche ziehen", denkt ihr euch?

Falsch, ihr Banausen!

Dieser vierte Teil dient dramatisch gesehen als retardierendes Moment, auch Hinauszoegerung des Hoehepunkts genannt. Kurz bevor es zur Aufloesung kommt, also dem Happy End bei der Komoedie oder der, fuer Tragoedien typischen, grossen Ernuechterung, werden noch einmal alle Karten neu gemischt. Obs letztendlich ein Royal Flush wird oder doch nur ein Bad Beat*, sehen wir dann wohl erst beim naechsten Mal.

Deswegen gar nicht erst weiterlesen und lieber direkt auf den folgenden Eintrag warten? Sicher, warum nicht? Du kannst dir auch ein Loch ins Knie bohren und gucken, ob Joghurt rauskommt!**

Unsere Erzaehlung vom letzten Mal endete beim eigentlichen Anfang meiner Strapazen: Naemlich dem zentralen Busbahnhof von Sao Paulo, "Terminal Tiete".

Noch einmal kurz zu meiner Gefuehlslage: unruhig, nervoes, unsicher und etwas eingeschuechert durch das Ungewisse, was mir unmittelbar bevorstand. Oder anders gesagt: Genau so, wie man sich vor seiner allerersten Verabredung fuehlt. Nur, dass mich hier niemand erwartete und nichts von mir wollte. Ausser vielleicht meine Wertgegenstaende.

Nachdem ich ausgestiegen war und mir meinen Koffer hatte geben lassen, lief ich direkt von den externen Haltestellen in die Hoehle des Loewen, wo mich ein eher verschlafenes Getummel von langsam umherschlurfenden Reisenden empfing. Ich hatte keine Ahnung, wo ich naehere Informationen herholen wuerde und selbst bei Nachfrage an den Fahrer meines Reisebusses kam nur ein sehr genereller, genuschelter Fingerzeig als Antwort. Entsprechend liess ich mich einfach vom Strom der Leute tragen und dachte nicht weiter nach. So muessen sich wohl BILD-Leser fuehlen!

Es war 8:45, als ich das erste Mal hoch auf eine der allgegenwaertigen Uhren schaute, die wie unerreichbare Gottheiten ueber die Passanten zu herrschen schienen und mit ihren Zeigern als Zepter vorgaben, wie viel Zeit den Sterblichen gewaehrt wuerde.

Zeitdruck? Der war gluecklicherweise nicht gegeben. Denn immerhin hatte man mir viel Spielraum gelassen. Mein Flug wuerde um kurz nach 12 gehen. Mittags? Nein, post-mitternacht natuerlich! Alles andere waere ja Ponyhof.
Wie dem auch sei, ich war morgens noch recht froh, um diese Terminplanung, da ich mir sicher war, mehrere Stunden bis zum Erreichen des Flughafens zu benoetigen.

Nachdem ich mich mehrere Dutzend Minuten hatte treiben lassen, war ich schon bedeutend ruhiger. Ich war noch nicht ermordet und hatte sogar noch saemtliche weltlichen Besitze in meiner Obhut, mit denen ich auch angekommen war. Die Furcht vor der Furcht ist immer das Schlimmste. Denn wenn man einmal angefangen zu kaempfen, dann sorgt man sich um die Gegenwart und nicht die Zukunft. So, wie es fast jedes Tier vernuenftigerweise seit Jahrmillionen haelt. Nur der Mensch begann irgendwann mit dem verrueckten Vorhaben, das Leben zu verplanen und so die eigene Existenz zu vergeistigen anstatt sie zu geniessen.
Da im Erdgeschoss nur Essstaende und Abfahrts- und Haltestellen zu finden waren, machte ich mich mitsamt meines 30kg Koffers schliesslich auf ins 1. Stockwerk.

Nach kurzer Rolltreppenfahrt erblickte ich ein weites Schlachtfeld von Spielhoellen, noch mehr Imbissen, Wartehallen und, wie koennte es anders sein, Ticketschaltern in rauhen Mengen. Mein erster Gang war allerdings direkt zum banheiro, da ich die gesamte Fahrt keine einzige annehmbare Toilette hatte finden koennen. Kein leichter Schachzug, denn leider war es eines dieser Drehkreuzklos, fuer das ich nicht nur heftige zwei Reales blechen musste, sondern bei dem ich auch gezwungen war, mein schweres Reiseequipment ueber die Barriere zu hieven.
Nachdem ich das Mikroben-Resort wieder verlassen hatte, gings zum Ticketschalter. Man sprach zwar nur Portugiesisch, aber gluecklicherweise hatte ich mir den Namen des Flughafens, Garulhos, gemerkt, was die Dinge sehr erleichterte. Nach Nennung des Preises gab ich einfach mal einen grossen Schein und hoffte auf das Gute im Menschen, ganz besonders bei der Verkaeuferin vor mir.

Nach erfolgreichem Erwerb gings dann wieder bergab. Keine Angst, ich meine nur zurueck ins Erdgeschoss.

Dort fand ich auch recht schnell die entsprechende Anlegestelle und pflanzte mich auf einen der zahlreichen Sitze. Nach knapp 40-minuetiger Wartezeit und der gewonnenen Erkenntnis, dass fast alle Leute um mich herum schwarz waren und ich somit das weisse Schaf, kam der Shuttlebus zum Flughafen an.

Kurz bevor es losging, schlug mir aber ploetzlich ein voellig neuer Gedanke ins Hirn ein, der mir vorher noch gar nicht gekommen war.

WIE KOMME ICH EIGENTLICH WIEDER ZURUECK?

Gute Frage, denn Sao Paulo hat an die 30 groesseren Busbahnhoefe. Auf meinem Rueckreiseticket stand auch nichts Genaueres. Die einzige Information, die ich damals beim Kauf bekommen hatte, war: "Siehst du dieses Bild von dem roten Bus da? So aehnlich sieht dein Bus dann bei der Rueckkehr aus. Wenn sich nichts aendert."

Diese Art der Informationshandhabung ist unter anderem der Grund, warum Paraguay bisher kein Raumfahrtsprogramm hat und wohl so schnell auch keins auf die Beine stellen wird.

Um noch etwas Schadensbegrenzung zu betreiben, fragte ich den Buslenker noch schnell, wie denn dieses Terminal hier hiesse. Zurueck kam eine gemurmelte Antwort, die ich zunaechst als Raeuspern interpretierte. Als bei erneutem Erkundigen dieselbe Aussage kam, begriff ich, dass mein Portugiesisch doch noch sehr unnuetz war. "Tiete" wird naemlich etwa wie tschiáetschie ausgesprochen. Da er auch noch in einem ganzen Satz antwortete, war das beinahe zuviel des Guten. Er zeigte mir dann aber eine Karte und dann wars klar.

Nach weiteren 30 Minuten Fahrt kamen wir dann am Garulhos an und ich fuehlte mich seit langer Zeit zum ersten Mal wieder richtig in der Zivilisation. Business People in Anzuegen, die ihren Flug erwischen muessen, verchromte Baeder, englische Schilder und Wortfetzen und einfach diese positiv hektische Atmosphaere, die ich so an Flughaefen schaetze. Denn dort hat man immer das Gefuehl, dass man bald auf Reise geht, neue Erfahrungen machen kann oder endlich wieder nach Hause kommt.
Deshalb hatte ich auch keine Probleme mit den 15 Stunden vorlaeufigen Aufenthalts.

Als Erstes ging ich zu McDonald's und holte mir dort den Wochenburger, dessen Name mir leider entfallen ist. Der Geschmack war allerdings unvergesslich gut konstruiert und kam mit einer Portion Creme Fraiche, was ich in Europa oder den USA noch nie bei einem Burger erleben durfte. Ich sage konstruiert, weil er offensichtlich so natuerlich war wie Cher. Ausserdem half mir dieser Kauf dabei, den Wert dieser mir noch fremden Waehrung etwas besser einschaetzen zu koennen. Wenn ich also fuer einen Fastfoodsnack 4 Reales bezahle, dann ist diese 0,5l Wasserflasche fuer 6 Reales ganz klar Wucher und jene halbe Pizza fuer 2 Reales ein Schnaeppchen. Das ist ein netter kleiner Trick, ueber den ich auf diese Weise zufaellig gestossen war. Viva la Kaufkraftparitaet! Auch wurde mir so bewusst, dass ich bei 5 Reales alle 10 Minuten nur kurz ins Internet-Café gehen wuerde. Da hob ich mir mein Geld lieber fuer Burger auf.

Der Tag verging recht unspektakulaer. Ich ass, las und wunderte mich darueber, wie sehr ich mich an mein Spanisch gewoehnt hatte. Irgendwie wollte ich nicht wieder Englisch reden, was mir die Serviceleute der Airlines aber staendig aufdraengten.

Gegen 23:00 checkte ich dann ein und verliess 70 Minuten spaeter recht puenktlich den Flughafen und machte mich auf in das Land der unbegrenzten Moeglichkeiten. Der 7,5-stuendige Flug verging recht schnell, da ich eigentlich nur schlief, aber gluecklicherweise stets rechtzeitig zu den Mahlzeiten und Snacks aufwachte.

Miami, die Stadt meiner Traeume. Ich spielte kurz mit dem Gedanken wie es sein wuerde, den Flughafen meines Zwischenstops einfach zu verlassen, mir ein Zimmer zu nehmen und dann den Rest des Tages am Strand und die Nacht im Coconut Grove, dem hippen Partyviertel der Jugend, zu verbringen und dann meine Freundin zu bitten, mich einfach in Florida zu besuchen. Auch wenn sie vielleicht zustimmen wuerde, waere meine Gastfamilie wahrscheinlich eher traurig.

Aber konnte ich mir diese Gelegenheit entgehen lassen? Man lebt schliesslich nur einmal...

(Fortsetzung folgt)

ANMERKUNG: Ich wuerde sehr um Kommentare und Bewertungen bitten. Einfach unten klicken und ein paar Worte schreiben. Feedback ist das Wichtigste fuer jeden, der schreibt, weil man das Gefuehl hat, nicht gegen die Wand zu reden. Ihr koennt meinen Blog jetzt auch direkt u.a. bei Facebook und Twitter weiterleiten. Einfach den kleinen Icon unterm Artikel klicken.

*Bad Beat, auch bekannt als "Anna Kournikova": Hand beim Poker, die stark aussieht, aber trotzdem verliert.
** Zitat Georg Himmer, Philosoph (1950-heute)

Saturday, July 17, 2010

III. Der Odyssee Dritter Teil - Wendepunkt

Wer allzeit bei dem Ofen sitzt, Grillen und die Hölzlein spitzt
und fremde Lande nicht beschaut, der ist ein Aff in seiner Haut.

Altdeutsches Sprichwort

Der dritte Teil beginnt. Meine Reise nimmt ihren Lauf und die Dinge kommen ins Rollen. Allerdings ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Daher dient dieser Teil meines Dramas als Peripetie, auch Handlungsumschlag genannt, in der das scheinbar Berechenbare ungeahnte Wendungen nimmt.
Die schoen zurechtgelegte Idealwelt kommt in Kontakt mit der brutalen Realitaet, ein Konflikt entsteht und versetzt dem nichtsahnenden Protagonisten, in diesem Falle leider mir, unwillkuerlich einen harten Tritt in die Nuesse.

Wieso, fragt ihr euch?

Drehen wir das Rad der Zeit noch einmal kurz zurueck. Was ist bisher geschehen?

Um meine Freundin wiederzusehen, machte ich mich auf den langen Weg in die Vereinigten Staaten, um sie dort bei meinen frueheren Gasteltern zu treffen. Am Tag der Abreise packte ich schnell meine Koffer, wurde zum Bus-Terminal gebracht und erwartete dort mein Transportmittel. Aber wieso gerade ein Omnibus?

Zunaechst stellte sich mir die Frage, wie man denn nun am besten und vor allem am billigsten von Paraguay bis zu den Suedstaaten der USA kommt.

Meine erste Idee in Anbetracht der hohen Flugpreise war das Verwenden mehrerer gekoppelter Busreisen bis hoch nach Mexiko. Dieser Einfall erschien mir anfaenglich aeussert brilliant, da ich nebenbei auch noch fast alle lateinamerikanischen Laender durchqueren koennte und mir diese mal kurz zu Gemuete fuehren wuerde. Dann wurde mir allerdings schnell der Nachteil des Ganzen bewusst: Ich wuerde saemtliche lateinamerikanischen Laender durchqueren muessen. Ein kurzer Check auf der Landkarte verriet mir die Distanz:

ca. 7650km Luftlinie. (Anmerkung: Von Oslo, Norwegen, bis nach Rom in Italien sind es "nur" 2000km)

Ah ja, dann vielleicht doch nicht.

Dann wollte ich ein Boot nehmen und hochschippern. Leider gibts da ausser Kreuzfahrten nicht viel im Angebot. Da Paraguay auch ein Binnenland ist, waren Schiffsreisen sowieso nicht der gaengige modus operandi . Blieb wohl also doch nur die alte Stahlkraehe.

Dann begann eine lange Kopfgeldjagd nach dem billigsten Flug. Ich musste einfach etwas finden, auch wenn ich den Flug auf der Bordtoilette wuerde verbringen muessen.

Es war klar, dass ein Flug von Asunción ausgehend ausser Frage stand, da eine Busfahrt in einen der naechstgelegenen internationaelen Flughaefen die Gesamtkosten drastisch reduzieren wuerde. In Frage kamen Rio de Janeiro und São Paulo in Brasilien sowie Buenos Aires in Argentinien. Rio liegt pralle 25 Stunden Busreise von Asunción entfernt, die beiden anderen Metropolen um die 20. Ein Hin- und Rueckfahrticket ist mit je ca. 40-50 Euro allerdings ueberaus preiswert.

Dann gings zum Tarif-Check der einzelnen Airlines.

$1300 fuer einen Flug Baires/Rio - Miami + Retour? Sah glatt so aus, als wuerde ich nach São Paulo gehen.





Nachdem das Busticket gekauft war und die Koffer gepackt, wartete ich schliesslich am Terminal als meine Doppeldecker-Kutsche mit lediglich 10-minuetiger Verspaetung eintraf. Bei derart geringem Abweichen merkte man gleich, dass der Anbieter kein Paraguayo sein konnte.
Nachdem mein Gepaeck verstaut war, setzte ich mich in den reservierten Sitz im oberen Geschoss und legte mir neben meinem Lunchpaket zusaetzlich mein Buch zurecht. Meine Wahl fiel auf "World Without End", oder auch "Die endlose Welt" von Ken Follett, den ueber 1200 Seiten starken Nachfolger des Klassikers "Die Saeulen der Erde".

Seite 1 - Waehrend ein paar Kinder im englischen Mittelalter auf verhaengnisvolle Entdeckungstour gehen, liegt bei mir im Bus alles schoen dort, wo es sein sollte. Ich lehne mich entspannt zurueck und freue mich auf eine gemuetliche Reise, die ich wahrscheinlich hauptsaechlich verschlafen kann. Auf Entdeckungstour gehe ich ja aber eigentlich auch, so wie die Romanfiguren im gebundenen Meisterwerk, das mir von meinem Schoss entgegenstarrt.

Doch da tauchte schon die erste Stoerung auf. Ein Mann mittleren Alters sass auf der gegenueberliegenden Seite rechts von mir im Bus. Ausser uns beiden waren im gesamten Bus vielleicht nur noch acht andere Personen. Sehr wenig, wenn ich das mit dem ueberfuellten Trip nach Buenos Aires im vergangenem Januar vergleiche. Dennoch sorgte besagter Señor fuer einen Geraeuschpegel, der einer Schulklasse Konkurrenz gemacht haette. Wenn er nicht am Schnarchen oder Schnaeuzen war, beschaeftigte er sich die naechsten Stunden lautstark damit, irgendetwas Hoellisches aus dem Abgrund seiner Kehle hervorzuholen. Absolut widerlich und auch sehr stoerend. Hier ist so ein Verhalten aber durchaus keine Seltenheit. Knigge war ja schliesslich auch kein Suedamerikaner. Mit etwas Dosenmusik aus meinem MP3-Player konnte ich der Kakophonie allerdings zeitweise entfliehen.

Seite 160 - Waehrend eine junge, als Sklavin verkaufte und entflohene Bauerstochter ihren Haeschern versucht zu entkommen, kamen wir, nach knapp vier Stunden ereignisloser Fahrt - der Stoerenfried war gluecklicherweise mittlerweile ausgestiegen - in Ciudad del Este an. Auch wir rannten davon wie die fiktive Englaenderin. Allerdings jagte uns nur ein enger Zeitplan und Anschlussfluege und keine blutruenstigen Gesetzlosen. Apropos, die Stadt liegt an der brasilianischen und argentinischen Grenze und ist Insidern zufolge deshalb eine zentrale Schaltstellte fuer Schmuggler und Terroristen in ganz Suedamerika. Hier musste aus irgendeinem Grund der Bus von innen gesaeubert werden, was ueber eine Stunde in Anspruch nahm. Ich persoenlich gebe dem Typen mit den Manieren de gua'u* die Schuld fuer jede erdenkliche Verschmutzung. Wer kann es sonst gewesen sein? Gut, 90% der Restbevoelkerung kaeme durchaus auch in Frage.
Das Verharren dort in der "Stadt des Ostens" war mir allerdings gar nicht geheuer, da ich schon viele Warnungen ueber die hohen Kriminalitaetsraten gehoert hatte, die mir am Terminal herumlungernden, zwielichtigen Gestalten nur bestaetigten.

Entsprechend froh war ich, als es dann endlich weiterging.

Waehrend ich die atemberaubende "Puente Internacional de la Amistad", oder schlicht die Freundschaftsbruecke, im Sonnenuntergang erblickte, die den Fluss Paraná ueberspannt und Brasilien und Paraguay wie ein binationaler Handschlag vereint, fuehlte ich mich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder wie ein Abenteurer, ein Pionier, der voellig neue Welten erforscht. Die Aufregung loeste einen spontanen Adrenalinschub aus und die Aussicht auf die Entdeckung eines, naemlich meines(!) Schatzes, liess mein Herz schneller schlagen.

Die Euphorie wurde aber schnell wieder gedaempft, als ich mit meinem ersten Drachen zu kaempfen hatte, der mir sicherlich auch in unspektakulaereren Landstrichen haette begegnen koennen:

Buerokratie.

An der Grenze musste ich meinen Pass vorzeigen und beweisen, dass ich keine terroristischen Absichten hegte. Das war mein erster Kontakt mit Brasilianern, seitdem ich Portugiesischstunden nehme. Damals hatte ich allerdings gerade erst ein paar Wochen Unterricht, was meine Sprachexpertise doch stark begrenzte.

Dann wurde es auch schon bald dunkel. Schnell schickte ich noch eine SMS an meine Gasteltern, dass bisher alles gut gelaufen war. Prompt kam die, sinngemaesse, Anwort, "Dir auch viel Glueck, du wirst es brauchen."


Seite 210 - Nach der Lektuere ueber den Kollaps der Stadtbruecke in Kingsbridge und den anschliessenden Rettungaktionen wurde mir dann im Bus sogar ein kleines Abendessen serviert, das mir in Kombination mit meinen Vorraeten auch kurzfristig den Hunger nehmen konnte. Auch war ich froh, dass sich die Brueckenbaukunst ueber die Jahrhunderte verbessert hatte.

Danach wurde ich auch langsam schlaefrig und schlief, mit meinem Ersatz-T-Shirt als Kissen, langsam zum Rhythmus der weiten Strassen Brasiliens ein.

Am naechsten Morgen wurde ich gegen 6 Uhr unsanft von den Klaengen paraguayischer Volksmusik geweckt, die ueberall aus den Lautsprechern droehnte und mit dem Bordfernsehen optisch untermalt wurde. Was wuerde ich froh sein, endlich diesem Laerm entkommen zu koennen.
Vieles habe ich in diesem Jahr gelernt, zu einem gewissen Grad zu tolerieren: Dummheit, Ignoranz, schlechte Manieren und brennende, erbarmunglose, von Mosquitos verseuchte Hitze. Aber an die traditionelle Musik werde ich mich wahrscheinlich nie gewoehnen koennen. Denn jene ist, meiner Ansicht nach, die schlimmste Art von Geraeusch auf diesem Planeten, die nicht spezifisch als Krach intendiert ist.
Nach kurzer Hohlraumversieglung, also Stoepsel in die Ohren, war das Problem aber schon geloest.

Fruehstueck gabs keins.

Diese Hundesoehne! Zum Glueck hatte ich noch ein wenig Proviant uebrig. Zum Lesen war ich aber etwas zu aufgeregt, da wir schon in der Peripherie des "Heiligen Paulus" angekommen waren. Mit einer Ausdehnung von knapp 8000 Quadratkilometern und einer Metropolregionsbevoelkerung von satten 20 Millionen eher eine der groesseren Staedte dieser Welt ist São Paulo allerdings auch unvorstellbar gross, unuebersichtlich und vor allem schmutzig. Obwohl ich Armut seit Paraguay durchaus gewohnt bin, versetzte mir der Anblick einiger favelas, oder Armenghettos, doch einen Schock, da Tausende von winzigen Behausungen ueber ganze Huegelketten an- und aufeinander gepresst werden. Es gab auch so gut wie keine Gruenflaechen zu sehen, wobei ich natuerlich auch nur einen winzigen Bruchteil passierte.

Mir wurde gesagt, eine komplette Stadtdurchquerung koenne mit einem Auto durchaus einen halben Tag oder mehr in Anspruch nehmen.
Als wir zwei Stunden spaeter immer noch nicht am dortigen Busbahnhof angekommen waren, zweifelte ich diese Behauptung auch nicht laenger an. Um 8:30 erreichten wir schliesslich nach mehr als 21-stuendiger Fahrt "O Terminal Tiete".

Dies war auch der Moment, den ich an der ganzen Reise am meisten gefuerchtet hatte. Ich wuerde irgendwie einen Weg von hier zum Flughafen finden muessen. Ich hatte noch keine Ahnung, wie ich das anstellen wuerde, da das Internet nicht grossartig weitergeholfen hatte. Die Sprachbarriere machte mir zusaetzlich etwas Angst. Denn mit Spanisch und selbst Englisch kommt man hier selten weit. Mein Portugiesisch steckte noch in den Kinderschuhen.
Doch auch eine ganz andere Tatsache liess mir keine Ruhe. Naemlich, dass der Busbahnhof generell einer der gefaehrlichsten Orte jeder Grossstadt ist, da es hier fuer Raeuber, Diebe und sonstige Gesetzesbrecher die vielversprechendsten und meist auch die hilflosesten Opfer gibt.

Wuerde ich das Naechste sein?



Ploetzlich ein Stop. Der Bus hielt zum letzten Mal die Raeder an. Und ich, beunruhigt, nur den Atem...


(Fortsetzung folgt)




*"de gua'u" ist Yopará/Guarañol, also ein Mix aus Spanisch und Guaraní, fuer "fake/nicht authentisch/pseudo-"

Monday, July 12, 2010

II. Der Odyssee Zweiter Teil - Verwicklung

Auch eine Reise von tausend Meilen fängt mit dem ersten Schritt an.

Zu fortgeschrittener Stunde, aber durchaus schnell im Anschluss ans Praeludium, kommt nun der zweite Teil, die Verwicklung, meiner kleinen Serie.

Schon einige Zeit vor Beginn der Reise fing ich an, die Tage und schliesslich die Stunden bis zum Startschuss ungeduldig zu erwarten. Ich war innerlich sehr aufgewuehlt. Nicht nur wegen der Freude, meine Freundin Janine wiederzusehen, sondern auch, weil es das erste Mal seit etwa 8 Monaten sein wuerde, dass ich den lateinamerikanischen Kulturkreis verlassen wuerde. Das mag, gerade fuer geuebte Touristen, banal klingen. Ist es aber in keinster Weise. Denn anders als der gemeine Tui-Juenger, wachsen Austauschschueler und Freiwillige ueber einen laengeren Zeitraum mit Hilfe ihrer Gastfamilien, Freunde und Arbeit bzw. Schule eng mit ihrer Umgebung zusammen. Auch, wenn der Immigrant nicht immer von seinem Gastland begeistert ist - es geschieht frueher oder spaeter einfach.

Zunaechst zweifelte ich lange, ob ich denn nun wirklich in die USA gehen sollte. Schliesslich wuerde ein Kulturschock nicht zu vermeiden sein. In Anbetracht der krassen Diskrepanz in den wirtschaftlichen Entwicklungsstadien Paraguays (obwohl viele Haushalte bereits Strom haben) und der USA (satte 4 Billionen Tonnen an jaehrlicher Neumuellproduktion, Tendenz steigend), wuerde dieser kurzfristige Tapetenwechsel sicherlich nicht spurlos an mir vorueber gehen.
Doch zu gross war der Wunsch, mit meiner besseren Haelfte mal wieder ohne Kruecken, sprich Technologie, kommunizieren zu koennen.
Ausserdem wuerde es sicher auch ein kleines Abenteuer werden.

Als der Tag X dann endlich Wirklichkeit wurde, hatte ich es noch immer nicht richtig registriert und packte nur mechanisch meinen Koffer, sagte allen noch einmal abwesend Lebewohl und setzte mich mit meinem Gastpapa ins Auto, der mich trotz eines dringenden Meetings noch zum Bus Terminal brachte. Eigentlich hatte ich vorgehabt, den Bus zu nehmen. Mit Koffer und prallgefuelltem Rucksack allerdings eher ein Vergnuegen fuer Kenner. Gemacht hab ichs aber trotzdem schon mal, naemlich als mich meine zerebral benachteiligte, zweite Gastfamilie einfach genau dies tun liess, obwohl ich bei europaeischem Zeitplan damals meinen Bus nach Buenos Aires verpasst haette.

Eine traurige Verabschiedung entfiel gluecklicherweise, da Jorge, mein Para-Dad*, schnell weiter musste. Schockierenderweise hatte ich ueber eine Stunde auf meinen Bus zu warten, was mir aber genuegend Zeit liess, noch ein paar wichtige Dinge zu erledigen, die ich vorher nicht bedacht hatte; wie z.B. Essen und Trinken fuer den Trip zu besorgen oder Geld umzutauschen. Die Welt spricht schliesslich Visa und kein Guaraní**.
Ausserdem hatte ich noch ein ueppiges Guthaben auf meinem Handy (knapp 3 Euro, was bei mir locker fuer zwei Wochen reicht), das aber bei meiner Ankunft schon verfallen sein wuerde. Daher nahm ich an, dass ein erneutes Aufladen wohl die Gueltigkeitsdauer des gesamten saldos verlaengern muesste. Da ich aber schon auf einer Bank sass, mein Essen nett um mich herum aufgetischt hatte und somit die komplette Sitzgelegenheit blockierte, war ich eher abgeneigt, noch einmal extra aufzustehen. Stattdessen rief ich geistesgegenwaertig meinen Kollegen Carlos an und bat um eine kleine Zuwendung monetaerer Natur, worauf er mir dann prompt etwas per SMS ueberwies. Ja, das geht hier. Das ganze kuriose Mobilfunksystem waere eigentlich mal einen eigenen Artikel wert.

Nach beendetem Snacken, kam dann auch schon mein Bus und es ging wirklich los. Die Verwicklung hatte begonnen und war nun nicht mehr aufzuhalten. Jetzt gab es kein Zurueck mehr...

(Fortsetzung folgt)


*(Achtung, Wortspiel: "para" (altgriech.) --> "neben", "im Vergleich mit"; siehe "Paramilitaer", "paranormal" etc. + Para-guay. Also mein PARAguayischer NEBENvater ^^)

**(und noch ein Wortwitz. Nicht nur ist Guaraní die zweite Amtssprache Paraguays, sondern auch die lokale Waehrung. Daher funktioniert diese Doppeldeutigkeit, in Anlehnung an den bekannten Visa-Slogan, hier bei der eigentlich nur auf Geld bezogenen Aussage "Die Welt spricht kein Guaraní".")

Friday, July 9, 2010

I.ii "Odyssee" - Präludium

Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen!
Johann Wolfgang von Goethe (1746-1832)


In vielen Sprachen ist der Begriff „Odyssee“ zu einem Synonym für lange Irrfahrten geworden. Eine Reise, die alle Kraefte raubt und oft auch in Verzweiflung, Resignation und Demut endet, fuer den, der tollkuehn genug ist, sich ihr auszuliefern.

Was kann einen Menschen dazu bringen, eine solche Last auf sich zu nehmen? Einen grossen Teil seines Vermoegens und auch seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen, nur um ein weit entferntes, scheinbar utopisches Ziel zu erreichen?

Die Emotionen, die ein jeder von uns besitzt sind stark. Viel staerker als wir oft vermuten, als wir hoffen und manchmal auch als wir befuerchten.

Hass kann Familien zerstoeren. Mitleid kann Leben retten. Liebe kann Menschen veraendern.
Gefuehle sind es, die oft mehr als alles andere unseren Alltag und unsere Lebensplanung bestimmen. Mehr als der Verstand, mehr als Vorschriften und Gesetze, mehr als blosse physikalische Schranken.

Sie sind es auch, die Menschen dazu treiben, Aussergewoehnliches zu leisten, Grenzen zu sprengen und das Unwahrscheinliche, das Unglaubliche, Realitaet werden zu lassen.

Sie sind der Treibstoff fuer Irrfahrten. Angefangen bei Odysseus, der ihnen den Namen gab, ueber Pioniere wie Ferdinand Magellan bis hin zu heutigen Idolen wie Lance Armstrong und Nelson Mandela. Trotz scheinbar unueberwindbarer Hindernisse gaben sie nicht auf und wuchsen ueber sich hinaus und schrieben Geschichte.

Nach demselben Prinzip, wenn auch mit ungleich geringerer Bedeutung fuer die Menschheit, trieb es mich heraus aus meinem sicheren kleinen Haus hier in Paraguay, um einen inneren Schmerz zu ueberwinden, der mich bereits seit vielen Monaten seelisch quaelte und misshandelte: Sehnsucht!

______________


Jedem Freiwilligen, der im Rahmen des Anderen Diensts im Ausland (ADiA) einen Entwicklungsdienst leistet, stehen 26 Urlaubstage zu. Entsprechend hatte ich mir ueberlegt, mein Kontingent moeglichst auf einmal zu nutzen, um mein Reiseerlebnis moeglichst intensiv werden zu lassen.

Den Grund fuer meine Reise habe ich allerdings bisher ebensowenig erklaert wie das Reiseziel. Er ist simpel und dennoch von aller groesster Bedeutung.

All dies geschah, weil ich meine Freundin wiedersehen wollte! :-)

Sie war neben meiner Familie das Wichtigste, was ich fuer ein Jahr in Deutschland zuruecklassen musste. Doch das haette ich kaum fuer einen Zwoelfmonat ausgehalten. Daher stand fuer uns schon von Anfang an fest, irgendwie zu versuchen, sich in der Zwischenzeit zu treffen. Und sei es nur fuer ein paar Wochen.

Wir einigten uns schliesslich auf die USA, da wir beide das Land sehr moegen und ich dort auch Familie habe, bei der wir unterkommen konnten. Da wir allerdings zunaechst alles genauestens planen wollten, verschob sich die Reise bis auf Ostern.

Nach langen, tri-kontinentalen Absprachen war dann endlich die Reiseroute festgesetzt und es konnte losgehen.

Ich war erleichtert, nervoes. Aber dennoch vollkommen davon ueberzeugt, dass die Reise vor lauter Aufregung schnell und einfach von statten gehen wuerde und ich bald in den Vereinigten Staaten ankommen sollte, um meinen Schatz endlich wieder in die Arme schliessen zu koennen.


Ich hatte ja keine Ahnung...

(Fortsetzung folgt)

Thursday, July 8, 2010

I.i "Odyssee" - Ein Drama in 5 Akten

Liebe Leser,

ich habe nun ein kleines Experiment von literarisch-avantgardistischer Natur mit euch vor. Das heisst, ich werde etwas voellig Neues in meinem Blog versuchen, das es bisher so noch nie gegeben hat.
Mein Vorhaben ist es, ein fuer mich sehr bedeutendes Erlebnis niederzuschreiben. Aber nicht einfach in herkoemmlicher Prosa, sondern in Form eines Dramas. Wobei es eher ein Hybrid wird, also ein Bastard, da ich verschiedene Elemente aus beiden literarischen Gattungen miteinander zu verschmelzen gedenke. Vielleicht werde ich auch noch etwas Lyrik mit in den Hexenkessel werfen.

Allerdings wird das Ganze ein anarchisches Opus werden. Denn keineswegs werde ich mich an strikte Formen halten oder herkoemmliche Konventionen beachten. Dies ist kein Deutschaufsatz. Es ist nichts weniger als eine Kriegserklaerung an journalistische Normen und Regelungen, ein rebellisches Manifest sozusagen, das den bequemlichen Palast der literarischen Traegheit zum Einsturz zu bringen gedenkt. Ein Schlag ins Gesicht an alle Konformisten der deutschen Sprachkultur!

Es gab schon des Oefteren Werke dieser Art, die keinen Halt vor scheinbaren Grenzen machten und dabei mitunter Aussergewoehnliches erreichten. Das wohl Grossartigste von allen ist Goethes Faust, das zweifelsfrei zu den brilliantesten Schriftstuecken der Menschheitsgeschichte zaehlt, die je ersonnen wurden.
Und ich wage es, diese Krone deutscher Schreibkunst in einem Atemzug mit meinem eigenen Geschreibsel zu nennen?

Auf jeden Fall. Denn was waere ein besserer Leitfaden und Lehrmeister? Gerade diese Verknuepfung, die ich hier und jetzt zum ersten Mal in meinem Leben starte, inspiriert mich unglaublich. Das fuehrt dann letztendlich auch dazu, dass ihr, liebe Leser, einen etwas weniger langweiligen Text vor euch habt, wenn ich zu hoffen wagen darf.

Grosse Worte, fuerwahr. Doch was genau soll dahinter stecken?

Da ich schon immer ein Freund des Theaters und der Antike war, kam es mir in den Sinn ein klassisches Dramenmodell eines griechischen Theaterstuecks als Grundlage fuer mein Vorhaben zu waehlen.
Ohne weit ausschweifen zu wollen, werde ich die Fuenfteilung nach G. Freytag kurz erlaeutern, an der ich mich grob orientieren werde.

Das Drama besteht aus:

1. Exposition (Einleitung)
2. Verwicklung
3. Peripetie (Komplikation)
4. Retardierendes Moment (Herauszoegerung des Hoehepunkts)
5. Dénouement (Loesung)

Es soll fern von mir liegen, jetzt naeher auf die einzelnen Punkte einzugehen. Jedem Akt werde ich seine ganz besondere Aufmerksamkeit widmen, wenn es soweit ist.


Jetzt nur einmal kurz zur Exposition. Dies ist der Teil, in dem die grundlegenden W-Fragen, also Wer-Wann-Was-Wo-Warum, beantwortet werden. Ich habe sie inkorrekterweise "Praeludium" getauft, was eigentlich ein eroeffnendes Musikstueck ist. Ich fand den Name einfach cooler und 90% aller Leser haetten es wahrscheinlich sowieso entweder nicht gewusst oder bemerkt, mich eingeschlossen. Damit beginnt auch schon die Rebellion...


In diesem Sinne,

viel Spass bei diesem Experiment. Ich weiss ebenso wenig wie ihr, was uns im Laufe dieses Dramas erwarten wird.
Ob Tragoedie oder Komoedie steht ebenfalls noch offen. ;-)


alles Gute, euer Jan

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