Saturday, July 17, 2010

III. Der Odyssee Dritter Teil - Wendepunkt

Wer allzeit bei dem Ofen sitzt, Grillen und die Hölzlein spitzt
und fremde Lande nicht beschaut, der ist ein Aff in seiner Haut.

Altdeutsches Sprichwort

Der dritte Teil beginnt. Meine Reise nimmt ihren Lauf und die Dinge kommen ins Rollen. Allerdings ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Daher dient dieser Teil meines Dramas als Peripetie, auch Handlungsumschlag genannt, in der das scheinbar Berechenbare ungeahnte Wendungen nimmt.
Die schoen zurechtgelegte Idealwelt kommt in Kontakt mit der brutalen Realitaet, ein Konflikt entsteht und versetzt dem nichtsahnenden Protagonisten, in diesem Falle leider mir, unwillkuerlich einen harten Tritt in die Nuesse.

Wieso, fragt ihr euch?

Drehen wir das Rad der Zeit noch einmal kurz zurueck. Was ist bisher geschehen?

Um meine Freundin wiederzusehen, machte ich mich auf den langen Weg in die Vereinigten Staaten, um sie dort bei meinen frueheren Gasteltern zu treffen. Am Tag der Abreise packte ich schnell meine Koffer, wurde zum Bus-Terminal gebracht und erwartete dort mein Transportmittel. Aber wieso gerade ein Omnibus?

Zunaechst stellte sich mir die Frage, wie man denn nun am besten und vor allem am billigsten von Paraguay bis zu den Suedstaaten der USA kommt.

Meine erste Idee in Anbetracht der hohen Flugpreise war das Verwenden mehrerer gekoppelter Busreisen bis hoch nach Mexiko. Dieser Einfall erschien mir anfaenglich aeussert brilliant, da ich nebenbei auch noch fast alle lateinamerikanischen Laender durchqueren koennte und mir diese mal kurz zu Gemuete fuehren wuerde. Dann wurde mir allerdings schnell der Nachteil des Ganzen bewusst: Ich wuerde saemtliche lateinamerikanischen Laender durchqueren muessen. Ein kurzer Check auf der Landkarte verriet mir die Distanz:

ca. 7650km Luftlinie. (Anmerkung: Von Oslo, Norwegen, bis nach Rom in Italien sind es "nur" 2000km)

Ah ja, dann vielleicht doch nicht.

Dann wollte ich ein Boot nehmen und hochschippern. Leider gibts da ausser Kreuzfahrten nicht viel im Angebot. Da Paraguay auch ein Binnenland ist, waren Schiffsreisen sowieso nicht der gaengige modus operandi . Blieb wohl also doch nur die alte Stahlkraehe.

Dann begann eine lange Kopfgeldjagd nach dem billigsten Flug. Ich musste einfach etwas finden, auch wenn ich den Flug auf der Bordtoilette wuerde verbringen muessen.

Es war klar, dass ein Flug von Asunción ausgehend ausser Frage stand, da eine Busfahrt in einen der naechstgelegenen internationaelen Flughaefen die Gesamtkosten drastisch reduzieren wuerde. In Frage kamen Rio de Janeiro und São Paulo in Brasilien sowie Buenos Aires in Argentinien. Rio liegt pralle 25 Stunden Busreise von Asunción entfernt, die beiden anderen Metropolen um die 20. Ein Hin- und Rueckfahrticket ist mit je ca. 40-50 Euro allerdings ueberaus preiswert.

Dann gings zum Tarif-Check der einzelnen Airlines.

$1300 fuer einen Flug Baires/Rio - Miami + Retour? Sah glatt so aus, als wuerde ich nach São Paulo gehen.





Nachdem das Busticket gekauft war und die Koffer gepackt, wartete ich schliesslich am Terminal als meine Doppeldecker-Kutsche mit lediglich 10-minuetiger Verspaetung eintraf. Bei derart geringem Abweichen merkte man gleich, dass der Anbieter kein Paraguayo sein konnte.
Nachdem mein Gepaeck verstaut war, setzte ich mich in den reservierten Sitz im oberen Geschoss und legte mir neben meinem Lunchpaket zusaetzlich mein Buch zurecht. Meine Wahl fiel auf "World Without End", oder auch "Die endlose Welt" von Ken Follett, den ueber 1200 Seiten starken Nachfolger des Klassikers "Die Saeulen der Erde".

Seite 1 - Waehrend ein paar Kinder im englischen Mittelalter auf verhaengnisvolle Entdeckungstour gehen, liegt bei mir im Bus alles schoen dort, wo es sein sollte. Ich lehne mich entspannt zurueck und freue mich auf eine gemuetliche Reise, die ich wahrscheinlich hauptsaechlich verschlafen kann. Auf Entdeckungstour gehe ich ja aber eigentlich auch, so wie die Romanfiguren im gebundenen Meisterwerk, das mir von meinem Schoss entgegenstarrt.

Doch da tauchte schon die erste Stoerung auf. Ein Mann mittleren Alters sass auf der gegenueberliegenden Seite rechts von mir im Bus. Ausser uns beiden waren im gesamten Bus vielleicht nur noch acht andere Personen. Sehr wenig, wenn ich das mit dem ueberfuellten Trip nach Buenos Aires im vergangenem Januar vergleiche. Dennoch sorgte besagter Señor fuer einen Geraeuschpegel, der einer Schulklasse Konkurrenz gemacht haette. Wenn er nicht am Schnarchen oder Schnaeuzen war, beschaeftigte er sich die naechsten Stunden lautstark damit, irgendetwas Hoellisches aus dem Abgrund seiner Kehle hervorzuholen. Absolut widerlich und auch sehr stoerend. Hier ist so ein Verhalten aber durchaus keine Seltenheit. Knigge war ja schliesslich auch kein Suedamerikaner. Mit etwas Dosenmusik aus meinem MP3-Player konnte ich der Kakophonie allerdings zeitweise entfliehen.

Seite 160 - Waehrend eine junge, als Sklavin verkaufte und entflohene Bauerstochter ihren Haeschern versucht zu entkommen, kamen wir, nach knapp vier Stunden ereignisloser Fahrt - der Stoerenfried war gluecklicherweise mittlerweile ausgestiegen - in Ciudad del Este an. Auch wir rannten davon wie die fiktive Englaenderin. Allerdings jagte uns nur ein enger Zeitplan und Anschlussfluege und keine blutruenstigen Gesetzlosen. Apropos, die Stadt liegt an der brasilianischen und argentinischen Grenze und ist Insidern zufolge deshalb eine zentrale Schaltstellte fuer Schmuggler und Terroristen in ganz Suedamerika. Hier musste aus irgendeinem Grund der Bus von innen gesaeubert werden, was ueber eine Stunde in Anspruch nahm. Ich persoenlich gebe dem Typen mit den Manieren de gua'u* die Schuld fuer jede erdenkliche Verschmutzung. Wer kann es sonst gewesen sein? Gut, 90% der Restbevoelkerung kaeme durchaus auch in Frage.
Das Verharren dort in der "Stadt des Ostens" war mir allerdings gar nicht geheuer, da ich schon viele Warnungen ueber die hohen Kriminalitaetsraten gehoert hatte, die mir am Terminal herumlungernden, zwielichtigen Gestalten nur bestaetigten.

Entsprechend froh war ich, als es dann endlich weiterging.

Waehrend ich die atemberaubende "Puente Internacional de la Amistad", oder schlicht die Freundschaftsbruecke, im Sonnenuntergang erblickte, die den Fluss Paraná ueberspannt und Brasilien und Paraguay wie ein binationaler Handschlag vereint, fuehlte ich mich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder wie ein Abenteurer, ein Pionier, der voellig neue Welten erforscht. Die Aufregung loeste einen spontanen Adrenalinschub aus und die Aussicht auf die Entdeckung eines, naemlich meines(!) Schatzes, liess mein Herz schneller schlagen.

Die Euphorie wurde aber schnell wieder gedaempft, als ich mit meinem ersten Drachen zu kaempfen hatte, der mir sicherlich auch in unspektakulaereren Landstrichen haette begegnen koennen:

Buerokratie.

An der Grenze musste ich meinen Pass vorzeigen und beweisen, dass ich keine terroristischen Absichten hegte. Das war mein erster Kontakt mit Brasilianern, seitdem ich Portugiesischstunden nehme. Damals hatte ich allerdings gerade erst ein paar Wochen Unterricht, was meine Sprachexpertise doch stark begrenzte.

Dann wurde es auch schon bald dunkel. Schnell schickte ich noch eine SMS an meine Gasteltern, dass bisher alles gut gelaufen war. Prompt kam die, sinngemaesse, Anwort, "Dir auch viel Glueck, du wirst es brauchen."


Seite 210 - Nach der Lektuere ueber den Kollaps der Stadtbruecke in Kingsbridge und den anschliessenden Rettungaktionen wurde mir dann im Bus sogar ein kleines Abendessen serviert, das mir in Kombination mit meinen Vorraeten auch kurzfristig den Hunger nehmen konnte. Auch war ich froh, dass sich die Brueckenbaukunst ueber die Jahrhunderte verbessert hatte.

Danach wurde ich auch langsam schlaefrig und schlief, mit meinem Ersatz-T-Shirt als Kissen, langsam zum Rhythmus der weiten Strassen Brasiliens ein.

Am naechsten Morgen wurde ich gegen 6 Uhr unsanft von den Klaengen paraguayischer Volksmusik geweckt, die ueberall aus den Lautsprechern droehnte und mit dem Bordfernsehen optisch untermalt wurde. Was wuerde ich froh sein, endlich diesem Laerm entkommen zu koennen.
Vieles habe ich in diesem Jahr gelernt, zu einem gewissen Grad zu tolerieren: Dummheit, Ignoranz, schlechte Manieren und brennende, erbarmunglose, von Mosquitos verseuchte Hitze. Aber an die traditionelle Musik werde ich mich wahrscheinlich nie gewoehnen koennen. Denn jene ist, meiner Ansicht nach, die schlimmste Art von Geraeusch auf diesem Planeten, die nicht spezifisch als Krach intendiert ist.
Nach kurzer Hohlraumversieglung, also Stoepsel in die Ohren, war das Problem aber schon geloest.

Fruehstueck gabs keins.

Diese Hundesoehne! Zum Glueck hatte ich noch ein wenig Proviant uebrig. Zum Lesen war ich aber etwas zu aufgeregt, da wir schon in der Peripherie des "Heiligen Paulus" angekommen waren. Mit einer Ausdehnung von knapp 8000 Quadratkilometern und einer Metropolregionsbevoelkerung von satten 20 Millionen eher eine der groesseren Staedte dieser Welt ist São Paulo allerdings auch unvorstellbar gross, unuebersichtlich und vor allem schmutzig. Obwohl ich Armut seit Paraguay durchaus gewohnt bin, versetzte mir der Anblick einiger favelas, oder Armenghettos, doch einen Schock, da Tausende von winzigen Behausungen ueber ganze Huegelketten an- und aufeinander gepresst werden. Es gab auch so gut wie keine Gruenflaechen zu sehen, wobei ich natuerlich auch nur einen winzigen Bruchteil passierte.

Mir wurde gesagt, eine komplette Stadtdurchquerung koenne mit einem Auto durchaus einen halben Tag oder mehr in Anspruch nehmen.
Als wir zwei Stunden spaeter immer noch nicht am dortigen Busbahnhof angekommen waren, zweifelte ich diese Behauptung auch nicht laenger an. Um 8:30 erreichten wir schliesslich nach mehr als 21-stuendiger Fahrt "O Terminal Tiete".

Dies war auch der Moment, den ich an der ganzen Reise am meisten gefuerchtet hatte. Ich wuerde irgendwie einen Weg von hier zum Flughafen finden muessen. Ich hatte noch keine Ahnung, wie ich das anstellen wuerde, da das Internet nicht grossartig weitergeholfen hatte. Die Sprachbarriere machte mir zusaetzlich etwas Angst. Denn mit Spanisch und selbst Englisch kommt man hier selten weit. Mein Portugiesisch steckte noch in den Kinderschuhen.
Doch auch eine ganz andere Tatsache liess mir keine Ruhe. Naemlich, dass der Busbahnhof generell einer der gefaehrlichsten Orte jeder Grossstadt ist, da es hier fuer Raeuber, Diebe und sonstige Gesetzesbrecher die vielversprechendsten und meist auch die hilflosesten Opfer gibt.

Wuerde ich das Naechste sein?



Ploetzlich ein Stop. Der Bus hielt zum letzten Mal die Raeder an. Und ich, beunruhigt, nur den Atem...


(Fortsetzung folgt)




*"de gua'u" ist Yopará/Guarañol, also ein Mix aus Spanisch und Guaraní, fuer "fake/nicht authentisch/pseudo-"

3 comments:

  1. Lieber Jan,
    nachdem ich vorher nicht wirklich wusste was der scheiss soll, hast du mich nun ueberzeugt. find den eintrag sehr gelungen!! freue mich wirklich auf den naechsten, auch wenn du mir die ganze historia ja schonma erzaehlt hast. da du weisst dass ich dir aber a) nicht zugehoert und b)ein gedaechtnis wie ein goldfisch habe, finde ichs trotzdem intressant.

    mach weiter so, vielleicht auch wenn du zurueck in deutschland bist.
    du kannst schreiben, und falls es nur ein paar leute gibt wie mich, die es lesen, dann hat es sich doch schon gelohnt.

    LG

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  2. klingt spannend. freu mich auf den nächsten eintrag.
    in der zwischenzeit kannste dir das hier reinziehen und mir dann mal sagen was du davon hältst ;)
    http://www.youtube.com/watch?v=08ifu_uarwc

    greets
    T

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  3. Und noch etwas hätte gegen die Durchquerung Amerikas mit Bussen gestanden: das fehlende Stück der Panamericana zwischen Kolumbien und Panama, auch Darien Gap genannt. Da gibt´s nur Schlangen und die Guerilla. :D

    Bin gespannt, wie´s weitergeht!

    Lars

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