Tuesday, May 11, 2010

Muttertag in Paraguay (Día de la Madre en el Paraguay)

Um mich mal wieder kurz zu Wort zu melden, moechte ich euch gerne vom meinem hiesigen Muttertagserlebnis erzaehlen.

Das Interessante dabei ist, dass, anders als im grossen Rest der Welt, der Muttertag hier nicht am 8., sondern am 14. Mai gefeiert wird. Dies ist nicht etwa ein Anflug von paraguayischer Eigensinnigkeit, um sich vom Rest der Welt abzusetzen, sondern schlicht historisch bedingt.

So wie viele Laender Suedamerikas frueher formal zu Spanien gehoerten und dann ihre transatlantische Nabelschnur durch politische Reifung kappten, so sagte sich auch Paraguay von der einst riesigen Kolonialmacht am Mittelmeer los.

Am 14. Mai 1811 war es dann soweit: El Paraguay wurde unabhaengig und ehrt dieses denkwuerdige Datum seither jaehrlich durch den "Día de la Patria - la Madre de la gente" (Tag des Vaterlands; der Mutter des Volkes).

Diese Uebersetzung klingt etwas ungewoehnlich, gar gegensaetzlich. Jedoch sollte man einfach die kulturellen und sprachlichen Unterschiede zur Kenntnis nehmen und sich nicht weiter den Kopf ueber Grammatik zerbrechen. Denn sowohl Vater als auch Mutter sorgen fuer ihr Kind. Die Tatsache, dass in diesem erzkatholischen Land auch die Mutter Gottes eine grosse Rolle spielt, tut ein Uebriges, dem Tag seine grosse Bedeutung zu verleihen.

Gefeiert wird allerdings am 15. Entsprechend war fuer gestern eine kleine Feier auf unserer Terrasse angesetzt. Das Wetter spielte leider nicht so ganz mit und folglich mussten wir etwas naeher an die Hauswand ruecken. Mittlerweile wird es tatsaechlich recht kuehl hier in Asunción. Es war schon lange nicht mehr heiss und nur ab und an ist es jetzt noch warm. Da wir uns hier auf der Suedhalbkugel befinden, haben wir ja nun Herbst, der sich langsam aber sicher in den Winter verwandelt. Dennoch ist das noch lange kein Grund den Nerzmantel auszupacken. Laut meinem Gastpapa liegt der aktuelle paraguayische Temperatur-Negativ-Rekord bei gerade mal -7 Grad; vor einigen Jahren gemessen in der "Stadt des Suedens", Encarnación.
Frost, klirrende Kaelte oder gar Schnee sind den meisten Paraguayern tatsaechlich nur aus den Medien oder von Erzaehlungen bekannt. Es hat mich damals wirklich geschockt, als mir mein Chef Carlos erzaehlte, er habe mit seinen 26 Jahren noch nie Schnee oder das Meer gesehen. Inzwischen hat er allerdings Zentral-Chile besucht, wo beide Naturphaenomene quasi unausweichlich sind.

Doch zurueck zur Familienfeier. Anders als in meinen vorherigen Familien, in denen ich immer wieder bemerken musste, dass Antipathie erblich zu sein scheint, erlebe ich hier das positive Gegenteil und fuehle mich wunderbar aufgehoben und akzeptiert.

Es gab dann ein asado, das mein Onkel muetterlicherseits anheizte und spaeter auch meisterlich servierte. Das Wort asado kommt vom spanischen Verb asar (braten, grillen) und ist im Prinzip wie ein standard Grillevent im deutschen Hochsommer. Es wird auf einer parrilla (Bratrost) gebrutzelt bis es aussen leicht knusprig, innen aber noch zartrosa ist. Das Fleisch, das hier verwendet wird, ist sehr hochwertig und kommt groesstenteils aus dem Chaco, dem noerdlichen, duennbesiedelten Teil Paraguays, der von Mennoniten wirtschaftsfaehig gemacht wurde. Ein sehr interessantes Fleckchen Erde ueber das ihr sicher deutlich mehr wuesstet, wenn ich meine beiden Besuche dorthin bereits niedergeschrieben haette. Ganz ruhig, kommt noch!

Wie gesagt, es ist wahrlich immer wieder eine Freude, sich den Genuessen des paraguayischen Rinds hinzugeben. Auch die Namensliste fuer die verschiedenen Teile von Rind- und Schweinefleisch ist bemerkenswert. Waehrend ich in Deutschland schon nach Kotelette, Filet und Rippchen so ziemlich mit meinem Fleischerlatein am Ende bin, stosse ich doch ernstlich an meine Grenzen, wenn ich gefragt werde, ob ich nun costillas, matambre, chorizo vom Braford oder doch lieber tapa cuadril vom Ratford Rind probieren moechte. Nachdem ich dann nahezu alles verkostet habe, mein Gastvater mich dann aber darauf hinweist, die besten Stuecke verpasst zu haben, kommen mir doch jedes Mal wieder die Traenen. Wie dem auch sei, ich bin jedes Mal aufs Neue begeistert und beglueckwuensche mich, kein Vegetarier sein zu muessen.

Nebenbei bemerkt, stelle ich es mir aber tatsaechlich recht schwer vor, als Fleischveraechter oder gar Veganer in dieses Land zu kommen. Waehrend besser gestellte Familien sicherlich keine groesseren Probleme damit haetten, so gehe ich schwer davon aus, dass einem das Gros der Bevoelkerung mit Unverstaendnis, ja vielleicht sogar Argwohn begegnen wuerde. Schliesslich ist der Verzehr von gekochtem Fleisch ein integrativer Teil dieser Kultur. Nicht nur gilt das Fleisch hier als besonders rein (nicht, dass das Geld fuer ausgedehnte Hormonkuren ueberhaupt da waere!) und schmackhaft, vielmehr ist das Familienessen auch tief in die Kultur mit eingewoben. Wenn nun ein Auslaender mit seinen seltsamen Extrawuenschen kommt, kann dies sicherlich zu Konflikten fuehren, je nachdem, wer da aufeinanderprallt.
Weiterhin lehnt man damit ja auch offen einen Teil des Gastlandes ab. Doch auch spielt die Art der Familie, in die man gesteckt wird, eine wichtige Rolle.
Waehrend meine ersten beiden Familien sicher nicht die Beweggruende eines Vegetariers haetten nachvollziehen koennen oder wollen, so waere mein jetziger Haushalt sicherlich tolerant und verstaendnisvoll genug, um die Lebensweise eines "Andersessenden" zu begreifen. Mein Gastvater macht im Moment sogar eine Atkins-Diaet, die von manchen sogar in Europa als neumodischer Firlefanz betrachtet wird. Ueber deren Wirksamkeit moechte ich mich hier allerdings nicht weiter befassen, da dieser Artikel sonst niemals enden wuerde.

Ein weiteres wichtiges Utensil der Kueche Paraguays ist neben der parrilla der sogenannte tatakua (lies "tataquá"). Dieses Wort kommt, wie sich manche sicherlich schon denken koennen, aus der Eingeborenensprache Guaraní und bedeutet Feuerloch (tata = Feuer; kua = Loch). Dieser Name ist auch recht passend, da es sich hierbei um einen primitiven Ofen handelt, der schon seit langer Zeit als Kochstelle dient und auch heute noch vor allem in laendlichen Regionen Verwendung findet.
Das Prinzip dabei ist einfach wie effektiv: Man baut eine hohle Halbkugel aus Backsteinen (ladrillos), die mit einem Ton-Zement Gemisch zusammengehalten werden. Wie man hoert verwenden besonders faehige Baumeister zusaetzlich noch Asche und miel de caña (Zuckerrohrhonig), auch miel negra (schwarzer Honig) genannt. Bei Letzterem handelt es sich um die noch unfiltrierte Melasse, die ein Zwischenprodukt bei der Zuckergewinnung darstellt. Asche und miel sorgen dafuer, dass der tatakua eine gewisse Elastizitaet beibehaelt und bei hohen Druck- und Temperaturschwankungen keine Risse bildet.
Im Inneren wird dann ein Feuer entzuendet, das den Oeko-Ofen stetig aufheizt. Sobald die gewuenschte Temperatur erreicht ist, wird ein Teil der Glut und Asche mit einem Schaber entfernt und durch das zu kochende Gericht ersetzt.

Tatakua - der traditionelle Backofen Paraguays

Drei Gerichte werden ganz besonders gerne und haeufig auf diese Weise zubereitet:

1. Sopa Paraguaya (Paraguayische Suppe) - Anders als der Name vielleicht vermuten laesst, handelt es sich hierbei nicht etwa um einen Eintopf oder gar eine fluessige Bruehe, sondern vielmehr um eine Art herzhaften Kuchen aus Eiern, Mehl, Zwiebeln, Milch und Gewuerzen. Nicht zuletzt bruesten sich die Paraguayer immer wieder damit, im einzigen Land zu leben, in dem die Suppe fest sei. Wenn gut gemacht, ist die sopa eine meiner absoluten Lieblingsspeisen, auch wenn sie recht schwer und etwas fettig ist. Schlecht zubereitet ist sie aber kaum geniessbar.

2. Chipa (Guasu) - Chipas sind donut- bis adventskranzgrosse Ringe aus einem Kaese-Mehl-Milch Mix. Sie werden ueberall auf der Strasse oder an Imbissen zum Verkauf angeboten. Mir persoenlich schmecken sie extrem gut und ich werde versuchen ein Rezept mit nach Deutschland zu nehmen und jemanden finden, der sie mir dann auch backt. Am besten schmecken sie ofenwarm. Weniger Spass macht das Geniessen am naechsten Tag, da sie dann hart und broecklig sind.
Chipa Guasu (guasu, Guaraní fuer "gross") hingegen ist eine andere Speise, die ausser dem Namen wenig mit regulaeren chipas gemein hat. Es ist die Bezeichnung fuer eine Art Maiskuchen, der vor allem mit Milch gemacht wird. Optisch ist sie auch leicht mit der sopa zu verwechseln. Nur geschmacklich merkt man schnell den Unterschied. Chipa guasu ist irgendwie ueberhaupt nicht lecker. Anders als die sopa, deren Qualitaet vom Koch abhaengt, kann man das guasu Rezept meiner Ansicht nach kaum retten. Das Beste ist es, ein Geschmack ueberdeckendes Getraenk parat zu haben. Anfangs dachte ich sogar, sopa und chipa guasu seien identisch, nur dass manche sopa-Stuecke einfach nicht so gut gelungen oder schon verranzt seien. Den Irrtum habe ich inzwischen aber erkannt.

3. Maniok (spanisch "mandioca/yuca"; Guaraní "mandi'o") - Die Knolle des Cassavestrauchs, die ungekocht toedliche Blausaeure enthaelt, ist ein wichtiger Bestandteil der hiesigen Speisekarte. Sie wird entweder wie Kartoffeln gekocht oder im Ofen knusprig gebacken als Pommes serviert. Im Geschmack kann man sie auch eindeutig mit der heimischen "Krumbeer" vergleichen, wobei immer wieder zaehe kleine Fasern auftauchen, die man zuvor entfernen sollte.


Von unserer kleinen gastronomischen Rundreise kommen wir nun wieder zurueck zu unserer Familienrunde. Es war, wie bereits erwaehnt, eine nette Versammlung mit viel Essen. Als ich mich gerade vollgestopft zu einem Samstagnachmittagsschlaefchen begeben wollte, wurde mein Blutkreislauf allerdings ploetzlich von einem Adrenalinstoss angefeuert.
Es wurden mehrere Kuchen hervorgeholt, auf denen jeweils Kerzen standen. Des Weiteren sang man auf einmal "Cumpleaños Feliz" (Happy Birthday) und liess meine Gastmama die Kerzen ausblasen. "NIE IM LEBEN! Hat die heut Geburtstag?", ueberlegte ich erschrocken. Ich hatte ihr ja nicht einmal gratuliert. Super peinlich! Gluecklicherweise hatte ich noch mein Facebook offen und rannte unbemerkt schnell hoch an den PC und suchte das Profil meiner Gastmama, das ich ihr gluecklicherweise vor einiger Zeit eingerichtet hatte. Facebook ist bei solchen Dingen wirklich ueberaus hilfreich. Ich sah naemlich, dass sie erst im Oktober Geburtstag hat. Entspannt und laechelnd ging ich dann die Treppe hinunter und machte wieder einen auf den laessigen Typ, der ich bin und liess mir Nachtisch geben. Spaeter erfuhr ich, dass den Muettern wohl zur Feier des Tages ein Lied gesungen wird.

Spaeter am Abend, als alle Gaeste schon gegangen waren, gab ich meiner Gastmutter dann noch ein kleines Geschenk mit einem Briefchen. Sie freute sich sehr und man sah ihr an, dass sie nicht damit gerechnet hatte. Der schoene Moment wurde dann aber von meinem kleinsten Gastbruder unterbrochen, der laut wuergend an uns vorbeirannte, um sich dann auf der Toilette das Festessen nochmals durch den Kopf gehen zu lassen. Er hatte wohl zuviel morcilla, Blutwurst, gegessen.

Tuesday, May 4, 2010

Ein ganz besonderes Schicksal!

So liebe Blogophile,

"Es hat lange gedauert." Das scheint wohl zum Standardspruch auf dieser Seite zu werden. Aber ich moechte euch daran erinnern, dass ebenso wie ein Obstbaum, der nicht staendig Fruechte tragen kann oder ein junger Rotwein, der Zeit zum Ausbau und zur Entwicklung seines einzigartigen, koestlichen Charakters braucht, auch ich erst muehsam meine Stories sammeln und gegebenenfalls verfeinern muss. Es gibt immer viel zu erzaehlen. Aber um sicher zu gehen, dass ihr mit keinem langweiligen Durchschnittsmuell angeoedet werdet wie sonst fast ueberall in den Medien, sortiere ich erst einmal alles sorgfaeltig durch und praesentiere euch dann ausschliesslich die Auslese.

In diesem Sinne, nehme ich eure Entschuldigung fuer die Ungeduld schon einmal vorab an und sage: "Keine Ursache! Ihr konntet es ja nicht wissen."

Also, waehrend ich eigentlich vorhatte noch etwas gemuetlich bis zum naechsten Wochenende "zu sortieren", ist gestern doch etwas Ungewoehnliches und hoechst Bemerkenswertes geschehen, dessen Report absolut keinen weiteren Aufschub duldet.
Um nicht allzu viele Fragen im Nachhinein beantworten zu muessen, die die Erzaehlung meines Erlebnisses eventuell aufwerfen koennte, gebe ich noch einmal ein kurzes Status-Update meiner Freizeitaktivitaeten.

Seit Maerz habe ich angefangen einen Portugiesischkurs zu belegen. Ich hatte mir gedacht, dass es hier wohl so sein wuerde wie ein standard VHS-Sprachkurs in Deutschland, also etwa 2-4h pro Woche. Leider gab es dieses Angebot in keinem naheliegenden Sprachinstitut. Das einzige erhaeltliche Sprachpaket war: "Português - Super Intensivo".
Das heisst im Klartext fuenf mal pro Woche je 2 Stunden Unterricht! Das war etwas mehr Service als ich eigentlich in Anspruch nehmen wollte, aber hey, wenn ich schon mal da bin und es im Monat umgerechnet gerade mal knapp 30 Euro kostet, dann bin ich doch direkt am Start.

Der Gruende, warum ich Portugiesisch angefangen habe, sind vieler. Im Prinzip wollte ich damals eigentlich nur meine Mitfreiwillige Steffi davon ueberzeugen, sich die Chance nicht entgehen zu lassen. Also fing ich an, ihr eine lange und stichhaltige Argumentation vorzutragen. Ich konnte zwar nicht sie, aber immerhin mich selbst von der Idee komplett ueberzeugen. Ich kam mir schon immer recht ueberzeugend vor, aber damit haette selbst ich, in meiner ueblichen Ueberheblichkeit, nicht gerechnet.

An dieser Stelle kann ich auch nur jedem dazu raten, eine (weitere) Fremdsprache zu lernen. Mit jeder neuen Sprache kann man die Welt aus einem voellig neuen Blickwinkel betrachten und Dinge sehen und verstehen, die einem zuvor verschlossen waren. Mir wird das immer wieder bewusst, wenn ich interessante Gespraeche mit Leuten fuehre, die ich noch vor einem Jahr nicht haette verstehen koennen. Sprache ist etwas Wunderbares und hat fuer mich immer schon etwas Magisches an sich gehabt.
Doch genug der Sprachphilosophie und zurueck zu meinem Update.

Wir lesen derzeit im Kurs unser erstes Buch im brasilianisch-portugiesischen Originaltext. Einer der Gruende, der mich dazu verleitete diese Fertigkeit zu erlernen, war und ist, weil ich in der Lage sein wollte, die Buecher eines bestimmten Mannes ohne verfaelschende Uebersetzung lesen zu koennen. Er ist Brasilianer und Polyglott, also ein Mann, der mehrere Sprachen perfekt beherrscht. Ein ehemaliger Jura-Student und bekennender Ex-Junkie. Ein sehr erfolgreicher Globetrotter und Mitglied eines alten spanischen Ordens. Er hat tausenden Menschen Inspiration gebracht. Man sagt sogar, seine Erzaehlungen koennten Depressionen heilen sowie neuen Mut und Hoffnung geben.

Wer ist dieser Mann?

Sein deutscher Name waere Paul Hase. Die Rede ist von Paulo Coelho, einem meiner absoluten Lieblingsautoren.

In der ersten Unterrichtsstunde im Maerz war ich etwas frueher da als der Rest. Da fragte mich meine Lehrerin, Marta de Bueno, warum ich mich denn dazu entschlossen haette, ihren Kurs zu besuchen. Aus all den Gruenden, die mir so im Kopf herumschwirrten, platzte mir einfach ein "weil ich Coelho verstehen und lesen moechte" heraus.
Schon als ich das letzte Wort gesprochen hatte, kam ich mir unglaublich bloed vor. Ich komme in ihren Kurs und rede von irgendeinem Autor, von dem ich nicht einmal weiss, ob sie je von ihm gehoert, gar etwas gelesen hat. Und falls Ja, was wuerde sie ueberhaupt von ihm halten? Und warum sollte ich dann nicht einfach eine deutsche Uebersetzung lesen?
Ich erwartete ein verwirrtes "Wer!?" oder einen Vortrag ueber den wahren Nutzen und der Geschichte der portugiesischen Sprache. Stattdessen, jedoch, laechelte sie mich nur verstaendnisvoll an und nickte mit dem Kopf. So, als ob sie einst genau dasselbe hatte tun wollen. Dann sagte sie zu mir in ihrer Muttersprache, die mir auf einmal ueberraschend verstaendlich war:

"Coehlo! Ja, ich kenne ihn. Er ist ein guter Freund von mir."


Ich starrte sie ein paar Sekunden unglaeubig an, aber dann erzaehlte sie mir die Geschichte, wie sie ihn wohl kennen gelernt hatte. Dazu reichte mein Verstaendnis leider nicht mehr ganz aus, da sie, wie zuvor, in einer mir fremden und dem Spanischen nur begrenzt aehnlichen Sprache redete. Jetzt war ich es, der einfach mit dem Kopf nickte. Aber das war mir egal. Irgendwie fuehlte ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte, den Kurs zu belegen.

Dieses Gefuehl hat mich bisher nicht betrogen. Auch nach zwei Monaten bin ich immer noch hellauf begeistert und finde die schwungvoll-zackige Zunge Brasiliens mittlerweile schoener als Spanisch. Ich habe vor, sie in Deutschland auf jeden Fall weiterzulernen.

Doch dies war nur mein eigenes spezielles Erlebnis mit Coelho und seiner Sprache. Das, was ich euch nun erzaehlen werde, ist bei weitem ungewoehnlicher und, zumindest aus meiner Sicht, Inspiration und Lebensbejahung pur.
Dazu muesst ihr wissen, dass wir gerade den "Alchimisten" lesen, oder "O Alquimista" im Original; Coelhos zweites Werk. Ich hatte es mir vor einigen Jahren schon einmal zu Gemuete gefuehrt, aber vieles leider wieder vergessen. Daher war ich sehr positiv ueberrascht als unsere Lehrerin diese erste Pflichtlektuere bekanntgab.

Es handelt kurzgesagt vom jungen Hirtenjungen Santiago, der seine Familie und geliebte Schafherde in Andalusien verlaesst, um einen Schatz in Nordafrika zu suchen, der ihm mehrmals im Traum erscheint und ihn fortan nicht mehr loslaesst. Auf seiner Reise begegnen ihm viele wunderbare Dinge, die ihm zeigen wie grossartig und unberechenbar das Leben auf dieser Welt sein kann.
Ich moechte nichts vorwegnehmen, aber insgesamt ist das Buch eine Ansammlung von tiefgruendigen Lebensweisheiten, die in eine interessante Handlung eingewoben werden. Immer wieder muss man kurz innehalten und begreift, voellig verdutzt, wie sehr doch die Schlussfolgerungen, die der junge Spanier zieht, auch auf das eigene Leben und den eigenen Alltag zutreffen.
Ich, fuer meinen Teil, konnte kaum glauben, dass mir diese Dinge nicht schon viel frueher aufgefallen waren. Es ist defintiv ein Buch, das ich wieder und wieder lesen koennte. Muesste ich ins Exil auf eine einsame Insel und haette nur Platz fuer ein einziges Schriftstueck, dann wuesste ich jetzt schon, welches es sein wuerde.

Original Buch-Cover

"Der Alchimist" bei Amazon


Dann geschah es gestern in der zweiten Haelfte des Kurses.

Wie jeden Tag mussten wir wieder nach vorne kommen und auf Portugiesisch in eigenen Worten einen vorbereiteten Teil des "Alchimisten" nacherzaehlen. Waehrend ein Maedchen bei der Wiedergabe gerade eine Sprechpause einlegte, meinte einer unserer Mitschueler laut toenend: "Ne, mir hat dieses komische Buch ueberhaupt nicht gefallen."
Etwas geschockt, aber auch mit einer Spur von Mitleid fuer ihn, wartete ich, wie wohl die Reaktion der Lehrerin ausfallen wuerde. Sie sah ihn nur ernst an und meinte: "Wen interessierts, obs dir gefaellt?! Du sollst hier Portugiesisch lernen und keine Buchkritik schreiben."

Als wir dann alle vorgetragen hatten und sie uns gerade entlassen wollte, erhob sie noch einmal ihre Stimme und sah uns dabei allen nacheinander in die Augen, blieb mit ihrem Blick aber schliesslich auf dem Jungen liegen, der zuvor lautstark seine Kritik abgegeben hatte.
Sie sagte: "Mein Sohn, bevor du vorschnell ueber dieses Buch urteilst, moechte ich dir sagen, dass ich diese Lektuere bereits seit Jahren immer wieder erfolgreich fuer meine Schueler verwende. Viele hat sie bisher begeistert, ergriffen und nie wieder losgelassen. Und ich kann dir eines sagen: Dieses Buch hat bereits Leben veraendert!"

Mit erwartungsvollen Mienen blickten wir sie alle an und nach einer kurzen Kunstpause fing sie an, die Geschichte eines ehemaligen Schuelers wiederzugeben, der einst auch "O Alquimista" bei ihr gelesen hatte.

Sie begann langsam und klar zu erzaehlen. Ihr Blick schweifte dabei verschwommen in die Ferne, so als ob sie mit ihren Gedanken und Gefuehlen woanders war und nur noch ihre aeussere Huelle und heissere Raucherstimme im Raum bei uns liess:

Vor einigen Jahren kam ein Junge aus recht armen Verhaeltnissen zu ihr in den Super Intensivo Kurs. Er arbeitete bis spaet nachts, um genug Geld zu verdienen, um sich den Kurs leisten zu koennen, der fuer hiesige Verhaeltnisse zugegebenermassen nicht gerade guenstig ist. Er wohnte zu der Zeit in einem heruntergekommenen Viertel, das wohl "El Cocodrilo" (das Krokodil) hiess. Dort lebte er mit seiner unterdrueckenden Mutter und einer Schwester in armen Verhaeltnissen ohne grosse Aussicht auf sozialen Aufstieg.
Nachdem er die Lektuere dann daheim beendet hatten, rief der Schueler eines Freitagabends bei Frau De Bueno aufgeregt, aber selbstbewusst an und teilte ihr mit, dass er sich entschlossen habe, in die USA zu gehen, dort ein neues Leben zu beginnen und alles dafuer tun wolle, dorthin zu kommen. Als sie ihn daraufhin fragte, wie er sein Vorhaben denn zu finanzieren gedenke, antwortete er nur: "Ich weiss es noch nicht, Profe, aber ich werde es schaffen. Ich will es von ganzem Herzen!" Unsere Lehrerin schlug ihm vor, sich fuer ein Stipendium nach Brasilien zu bewerben und sich von dort aus weiter durchzuschlagen.
Er arbeitete in den folgenden Wochen sehr hart und war auch auf bestem Wege ein Stipendium zu bekommen. (Marta erzaehlte uns, dass alle Stipendien, die halbjaehrlich von der brasilianischen Botschaft vergeben werden, fast ausschliesslich von ihren Schuelern besetzt werden!).

Dann geschah etwas Kurioses. Schicksal, wenn man so will.


Er lernte ein Maedchen hier in Paraguay kennen und verliebte sich in sie. Sie wurden ein Paar und waren nicht mehr voneinander zu trennen. Und es geschah, dass ihre Eltern sehr reich waren. Dann erzaehlte er bald seiner Freundin, dass es sein grosser Traum sei, eines Tages in die USA zu gehen und womoeglich dort zu bleiben. Er tat dies sehr vorsichtig, da er fuerchtete ihre Gefuehle verletzen zu koennen. Sein Schatz jedoch gab dies an ihren Vater weiter, der den Jungen sehr gut leiden konnte. Ein paar Tage spaeter bot er ihm an, mit seiner Tochter in die USA zu ziehen, nachdem beide ihr Studium dieses Jahr abschliessen wuerden. Er bezahle fuer alles bis sie beide auf eigenen Beinen stehen koennten, meinte er. Voellig fassunglos vor Freude, umarmte er seine Freundin, ihren Vater und studierte Tag und Nacht, um ein gutes Examen hinzubekommen. Gegen Ende des Jahres flogen dann beide in die USA, wo er ein Aufbaustudium abschloss. Dort lebten sie dann ein paar Jahre, bevor dem Jungen eine Karriere als Fotomodel angeboten wurde. Mittlerweile hat er sehr viel Geld verdient und lebt in Spanien. Allerdings nicht ohne in der Zwischenzeit viele Laender bereist und kennen gelernt zu haben.
Vor einigen Monaten rief der Schueler dann bei Marta an und berichtete ihr von all den Geschehnissen und endete das Gespraech mit den Worten: "Haben Sie vielen Dank, Profe! Haetten Sie mir damals nicht den "Alquimista" zu lesen gegeben, der mich motiviert hatte, meinen Traeumen zu folgen, wuerde ich noch heute mit meiner Mutter und Schwester im "Cocodrilo" hausen." Und unter einem leichten Schluchzen fuegte er noch hinzu: "Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viel ich Ihnen und Coelho verdanke. Tausend Dank!"

Die gesamte Klasse hatte ihren Blick auf die Lehrerin gerichtet und hing an jedem Wort, als sie uns ploetzlich mit einer Handbewegung entliess. Aber wir sassen nur da und liessen das auf uns einwirken, was sie uns gerade mitgeteilt hatte. Es herrschte voellige Stille im Raum. Nur der vorher so selbstbewusste Junge murmelte halblaut: "Eigentlich war es ja gar nicht so schlecht..."

E quando você quer alguma coisa, todo o Universo conspira para que você realize seu desejo.
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Und wenn du etwas ganz fest willst, dann wird das gesamte Universum dazu beitragen, dass du es auch erreichst. - Paulo Coelho, O Alquimista

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