Saturday, November 14, 2009

ANHALTEN!!



Geneigte Leser,
Wieder einmal ist es an der Zeit euch etwas ueber eine fremde Kultur beizubringen und ein wenig den Schleier der Ignoranz zu lueften. Mir ist durchaus bewusst, dass ich noch ueber meine Arbeit schreiben sollte, aber das werde ich bei Gelegenheit auch noch tun, keine Sorge.
Heute jedoch moechte ich ein euch an anderes Thema naeherbringen:

Das oeffentliche Bussystem

Es mag euch zunaechst trivial erscheinen, diesem scheinbar unwichtigen Aspekt einen eigenen Bericht zu widmen, aber glaubt mir, es lohnt sich.
Am besten fange ich mit der prinzipiellen Struktur des Omnibussystems hier an und vergleiche sie mit der in Deutschland. Ihr alle wisst, wie es bei uns daheim ablaeuft: Man hat an der Bushalte eine Tabelle, die genau angibt, welche Linie wann abfaehrt und in welchem Ort sie zu gegebener Zeit sein wird. In meiner Nachbarschaft, ihr wisst, ich lebe eher rural, fahren am Tag etwa drei bis vier Busse, die mich in die naechst groessere Ortschaft bringen. Entsprechend wichtig ist es da auf die Minute genau zu planen, wie ich rechtzeitig an die Haltestelle komme. Einsteigend, wird dann erst mal berappt und dank den steigenden Oelpreisen auch nicht zu knapp. Dafuer kann ich mich anschliessend bequem auf einen gepolsterten, wenn auch uebel staubigen Sitz niederlassen und erstmal tagtraeumend die Seele baumeln lassen.

Das war Deutschland.

Jetzt ist Schluss damit. Wir sind hier in Suedamerika, meine Lieben. Zack Zack, sag ich da nur! Da ich in der Hauptstadt Asunción wohnhaft bin, gelten sicher nochmal andere Parameter als fuer den grossen Rest Paraguays. Dennoch ist es sehr denkwuerdig, wie hier der Hase laeuft.
Es fahren staendig und ueberall Busse. Sie fahren sehr schnell, sie fahren sehr laut und sie fahren ganz sicher ohne Katalysator. Moechte man sich fuer Karneval beispielsweise als Afro-Amerikaner verkleiden, braucht man sich bloss mal kurz vor den Auspuff eines dieser blechernen Ungetueme stellen.
Es gibt mindestens 50 verschiedene Linien, die auch oft nicht nur in Asunción unterwegs sind, sondern meist auch in nahe gelegenen Vororten verkehren. Interessant ist auch, dass nirgendwo angegeben wird, wann oder vor allem auch WOHIN welche Linie eigentlich faehrt. Aufgrund dieses Mangels an Informationen, bin ich den ersten Monat auch komplett ohne die Benutzung eines “colectivos” ausgekommen. Da ich mittlerweile, aber ca. 15 minuten Busfahrt von meiner Arbeitsstelle entfernt wohne, beschloss ich, dann doch regelmaessig mit dem Bus zu fahren. Es war faszinierend!
Doch davon gleich mehr. Als ich Carlito, meinen Kollegen fragte, wie er es denn gelernt habe, meinte er grinsend: “Tenés que probar!” (Musste halt versuchen!). Tatsaechlich bin ich auch schon des Oefteren mitten auf meiner Reise ausgesprungen (nicht geSTIEGEN!), weil die Busfahrt ploetzlich eine ungewoehnliche Wendung nahm. Einmal hat der Bus sogar 10m nach Einstieg einfach die Fahrtrichtung um 180 Grad gaendert. Da ich nicht als Trottel dastehen wollte, fuhr ich etwa 30 Sekunden ruhig sitzend mit. Danach musste ich dann denselben Weg zur Bushaltestelle noch einmal gehen. Aber ich habs gelassen gesehen. So wie alle anderen auch. Aufregen bringt halt einfach nichts!

Wenn man nun dieses oeffentliche Verkehrsmittel fuer sich zu nutzen gedenkt, folgt man am besten folgendem Schema:

1. An eine Strassenecke stellen und warten. Steht man in der Mitte eines Blocks, kann es durchaus sein, dass der Fahrer diese Art der Sittenlosigkeit mit Vorbeifahren straft.
2. Richtige Linie abwarten. Wenn man weiss, welche wohin faehrt ist der Kampf schon halb gewonnen.
3. Bus kommt -> Arm, Bein oder sonstige Extremitaet ausstrecken um zu signalisieren, dass man mitfahren moechte. Dies sollte moeglichst deutlich und vor allem rechtzeitig geschehen. Fairerweise muss ich sagen, dass die Busfahrer aber eigentlich immer anhalten, wenn sie einen potentiellen Passagier erblicken.
4. Aufspringen! Genau! Im Sinne von: den Arsch hochkriegen. Im Gegensatz zu deutschen Landen halten die Busse hier naemlich nicht an, sondern fahren nur etwas langsamer. Meistens faehrt er auch schon los sobald man in der Tuer ist. Selbst bei Aelteren Leuten haelt er meistens nicht voellig an.
5. Bezahlen. Jede Fahrt, egal wohin, kostet immer denselben Festpreis: 2100 Guaranies. Das sind umgerechnet etwa 30 Cent. Nur wenn man in eine mehrere Kilometer entfernte Stadt faehrt, wird waehrend der Fahrt abgerechnet. Aber selbst nach Buenos Aires oder Rio de Janeiro, was etliche Stunden entfernt liegt, bezahlt man kaum mehr als 35 Euro.
Die Art des Bezahlens ist auch recht interessant. Man sollte das Kleingeld am Besten bereits abzaehlt griffbereit haben, um schnell einen Sitzplatz zu bekommen, ehe der Bus anfaengt gnadenlos zu beschleunigen. Bei Bedarf bekommt man aber auch Wechselgeld, das der Buslenker waehrend der Fahrt gemaechlich aus seiner Kasse hervorkramt. Nach dem Motto “Kohle geht vor”, zaehlt er zunaechst seine Einnahmen, bevor er den Gegenverkehr zur Kenntnis nimmt.
6. Hinsetzen. Mein Lieblingsteil. Bei den meisten Bussen, die ich benutze gibt es immer so ein bescheuertes Drehkreuz, was meines Wissens nach wohl die Passagiere zaehlt. Es ist sehr schmal, im Gegensatz zu mir. Da ich des Uebrigen meistens einen Rucksack bei mir trage, muss ich mich oft quetschen.



So ist der ungefaehre Ablauf. Witzig ist auch immer wieder, in einen oeffentlichen Bus einzusteigen und zu wissen, dass sich so gut wie alle Koepfe nach diesem grossen Typen mit blondem Iro umdrehen, der etwa so paraguayisch ist wie der nordamerikanische SuperBowl. Mittlerweile hab ich mich aber dran gewoehnt und nehms gelassen.
Oft geschieht es auch, dass alle Plaetze belegt sind und man stehen muss. Das macht mir an sich auch gar nichts aus, da ich gerne stehe und man so die Bewegungen des colectivos auch viel besser abfedern kann. Ausserdem gibt es ueberall Haltemoeglichkeiten und durch meine hier ueberdurchschnittliche Groesse bin ich hier vor den diversen Koerpergeruechen etwas sicherer, da meine Nase buchstaeblich ueber den Dingen steht. Einzig stoeren mich, bei Ueberfuelltheit die Probleme des Aussteigens. Anfangs hatte ich keine Ahnung wie die Leute das eigentlich machen. Man stand dicht gedraengt nebeneinander und das Ziel rueckte immer naeher.
Als dann einmal Panik in mir hochstieg, wollte ich mit einem laessigen “permiso” (Verzeihung) aufstehen. Zu meiner Bestuerzung sah ich, dass man fuer mich nicht aus dem Weg ging. Na toll! Ich drueckte mich dann schliesslich durch und wollte, schon halb aufgestanden, nach dem an der Decke angebrachten Haltegriff greifen, als der Bus ploetzlich schneller wurde und ich nach hinten geschleudert wurde. Gluecklicherweise wurde mein schwebendes Hinterteil vom Gesicht einer Frau gebremst, die neben mir sass. Stabilisiert setzte ich also meinen Weg fort. Vorsichtshalber drueckte ich mich dann schnell durch die Menge, um moeglichen Konsequenzen zu entwischen. Ich glaube sie rief mir erzuernt noch etwas hinterher, aber an dieser Stelle war ich zum ersten Mal froh, dass mein Spanisch noch nicht so gut war.
Bemerkenswert sind auch die illustren Gestalten, die in regelmaessigen Abstaenden in die colectivos kommen, um den naiven Passagieren ihr Geld aus den Rippen zu leiern. Meist sind es kleine Kinder mit deutlich dunklerer Hautfarbe als der Durchschnittsparaguayer. Ihr staerker pigmentierter Teint unterscheidet sie von den Mestizen und weist sie als Angehoerige der immer weiter vertriebenen Guaraní-Indianer aus. Sie gehen meist mit kleinen bedruckten Kaertchen umher, die sie verteilen und dann Geld dafuer fordern. Manchmal hatte ich auch das Pech, dass sie anfangen zu singen. Einmal hat sich ein Junge in den leeren Sitz vor mir gekniet und mich dabei angestarrt und in einer mir voellig fremden Sprache gesungen. So schlecht wie er gekraechzt hat, kann ich nur annehmen, dass er einfach eine kostenlose Ueberfahrt erschnorren wollte.
Manchmal sind die Verkaeufer aber auch ganz unterhaltsam und spielen gekonnt Saxophon, Panfloete oder Gitarre. Die sind dann schon eine kleine Spende wert.
Auch kommen immer wieder Verkaeufer mit Getraenken, Kaugummis oder auch Haarspangen herein, die immer wieder auf ein paar willige Kaeufer stossen.
Man haelt den Bus uebrigens an, indem man an einer Schnur an der Decke zieht oder einen Knopf am Ausgang betaetigt. Erst letzte Woche funktionierten diese Mechanismen allerdings einmal nicht. Zum Glueck pfiff jemand laut und der Bus kam zum stehen.
Erzaehlenswert ist auch, dass ich einmal, weil ich vorne sass und hinten so viele Leute dicht gedraengt standen, durch den Einstieg des Busses aussteigen wollte. Dazu musste ich aber vorher ueber das Drehkreuz springen. Ich kam gerade vom Fitnessstudio und war noch richtig aufgepumpt und wollte wieder mal einen coolen Abgang machen. Ich stand also auf, hielt mich an der Halterung ueber mir fest und zog mich hoch. Der Teil klappte gut. Dann schwang ich mich nach vorn und ueberschaetze dummerweise meine Kraft, sodas ich fast fliegend nach vorne geschleudert wurde. Beim Aufkommen trat ich dann glaub ich noch auf den Zeh einer aelteren Dame und hing zudem mit einem Baendel meines Rucksacks am Drehkreuz fest. Als ich dann endlich ganz an der Tuer war, bemerkte ich, dass ich vergessen hatte an der Schnur zu ziehen und kam auch von dort nicht mehr dran. Die Dame hinter mir bat ich lieber nicht um Hilfe. Also musste ich noch warten bis der Wagen endlich anhielt und beschaemt aussteigen. Aber egal, ich werde weiter an meiner Technik feilen und mich zum absoluten Busexperten mausern!


Bis naechste Woche, ihr Knallkoeppe!

Hinterlasst mir mehr Kommentare!! Nicht bloss Lars! ;-)

3 comments:

  1. Ein toller Bericht, Kompliment! Grüße aus Deutschland von P.Kanters (Mutter von Annika, derzeit in Quiindy als AFS-Austauschschülerin)

    ReplyDelete
  2. Hey Jan,

    hier in Cali gibt's zwar Schilder wo der Bus hinfährt, doch am Ende komme ich doch irgendwie immer nicht dort raus, wo ich hinwollte. Zum Beispiel wollte ich zum Stadion, wo ich wohne, und nahm den ersten Bus, der vorbeikam. Der fuhr zwar auch zum Stadion, aber leider auf die falsche Seite - so durfte ich nachts um 9 einen Kilometer nach Hause laufen.
    Daher nehme ich lieber den MIO - so etwas wie ein deutsches Bussystem, mit Busspuren, Chipkarten zum Aufladen und Klimaanlage. Kann man bei 35° ganz gut brauchen. Leider sind die Busse zu 90% im Stil einer Sardinenbüchse hoffnungslos überfüllt, und einen Beinfreiheitsvergleich würde Ryanair haushoch gewinnen. Aber wenigstens fahren sie dahin, wo man hinwill. =)

    Lars

    ReplyDelete
  3. Hi Jan,
    das ist ja mal ein sehr informativer Artikel für alle die zuhause bleiben mussten. Nun frage ich mich, wie können das normale Touristen wuppen? Ich glaube,das ist doch kein Land für uns (A)Elter(e)n!
    Also schreib fleißig weiter, sonst müssen wir dumm sterben.
    Conny

    ReplyDelete

About Me